Seit vielleicht zwölf Jahren ist Retro-Grafik in Spielen wieder in. Vor allem in Indie-Games, aber auch in größeren Projekten folgt man entweder einen minimalistischen Grafikstil oder versucht, 8Bit- und 16Bit-Spielegrafik zu imitieren. Das hat viele Gründe, doch meistens scheitert es an der Authentizität. Moderne Retro-Grafik sieht fast immer so aus, wie sie beim Vorbild nicht möglich gewesen wäre.
Das Original
Es hat zahlreiche Gründe, warum die Spiele, die heute in der Erinnerung verklärt werden, so aussahen, wie sie aussahen. Zu nennen sind da Limitierungen von:
- Auflösung
- Farben
- Speicher
- Geschwindigkeit des Endgeräts
Dabei versuchten viele Spieleentwickler zur jeweiligen Zeit das Beste aus den Geräten herauszuholen. Damit dies möglich wurde, verwendete man zahlreiche Tricks. Manche davon nutzten sogar Fehler der Hardware aus oder wendeten Techniken auf eine Art an, wie sie ursprünglich nicht gedacht waren.
Heutige Retro-Grafik hält sich nur selten an eines der ursprünglichen Beschränkungen und hat es kaum nötig, auf entsprechende Tricks zurückzugreifen. Manchmal wird ein Röhrenmonitor mit einem sog. CRT-Effekt simuliert, aber das wirkt nie, wie das Original, weil die simulierte Krümmung auf einem flachen Bildschirm nicht ausreichend funktioniert (Stichwort Blickwinkel) und der Effekt meistens sehr übertrieben wird.
Um den alten Grafikstil möglichst korrekt nachzuahmen, müssen wir zunächst das Original verstehen. Interessanterweise werden heute, wenn auch mit besseren Tools, vergessen geglaubte Techniken eingesetzt. Etwa das Pixeln, aber auch ASCII und ANSI-Kunst erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Cracktros werden in Originalspiele eingebaut, Textscroller haben Konjunktur und selbst bei Musik und Soundeffekten wird versucht, alte Geräte zu imitieren.
ASCII-Kunst
Dabei handelt es sich um die Kunst, aus dem normalen Zeichensatz Grafiken zu erstellen. Wichtig ist, dass der Abstand aller Zeichen stets gleich ist. Vorteilhaft ist es, wenn die Schrift pixelig aussieht. Etwa wie der Textmodus unter DOS.
Bis vor wenigen Jahren kannte man dies vor allem noch von Signaturen in Foren. Ganz früher wurden im Textmodus ganze Spielewelten gezeichnet oder die Spiele fanden sogar komplett in Textform statt, etwa bei Textadventuren.
Als die Heimcomputer Grafikmodi hatten, nutzte man die ASCII-Kunst in Textdateien, etwa der Spielebeschreibung. Manche brachten nach dem Spiel noch ein hübsches Logo, sobald es unter DOS in den Textmodus ging. Teilweise waren diese sogar farbig.
Selbst heute gibt es hierfür Anwendungsbeispiele. Im simpelsten Fall lassen sich Logos und Überschriften in einer readme.txt einbinden. Ob die bei Steam-Spielen jemals gelesen werden, steht in den Sternen. Doch man kann, eine gute Schriftart vorausgesetzt, ASCII als Stilmittel im Spiel einbauen. Wenn bspw. das ganze Spiel wie im Textmodus aussehen soll. Hierbei gilt es zu beachten, dass 80 Zeichen breite sowie klassische Graustufen als authentisch angesehen werden. Je feiner die Textgrafik aufgelöst wird, etwa durch Foto zu ASCII Konverter, umso unechter wirkt das Resultat.
ANSI-Kunst
Manche würden es als eine Weiterentwicklung der ASCII-Art bezeichnen. Zunächst wurden sie vorwiegend in BBS (Bulletin Board Systems) verwendet.
Aufgrund von weiteren Sonderzeichen und Farben kann man sich hier kreativer austoben, allerdings wirken viele der Bilder aufgrund von grellen Farben, als wäre eine Tüte Smarties explodiert. Die meisten Grafiken der Szene wirken wie eine sehr verpixelte Form von Mangas oder zumindest Comics. Das muss man mögen.
Bei moderner Spieleentwicklung hab ich das selbst im Indie-Bereich noch nicht gesehen, was schade ist, da es durchaus interessante Möglichkeiten bietet. So etwa bei sonst textbasierten Spielen als graphisches Element. Als einen Hintergrund im Menü, Logo, Vorspann, Credits und vieles mehr.
Zwar ist die Breite i. d. R. ebenfalls auf 80 Zeichen beschränkt, ANSI-Grafiken sind aber berüchtigt für ihre enorme Höhe. Warum also nicht einen vertikal scrollenden Shooter in einem authentischen ANSI-Style erschaffen? Oder, wenn es zum Rest passt, als Abspann-Grafik.
Auch wenn es extrem Retro und selbst da Nische ist, gibt es in der Demoszene bis heute Wettbewerbe für ANSI-Grafiken. Wer also ein sehr exotisches Hobby sucht, ist hier ebenfalls richtig.
Pixel-Kunst
Dank einschlägiger Spiele kennt das selbst heute noch jeder. Doch es gibt gravierende Unterschiede zwischen damals und heute. Und selbst damals gab es Unterschiede, je nach Gerät, Anwendungszweck und Künstler. Außerdem darf man nicht vergessen, dass viele der Grafiken damals nicht so pixelig wirkten, wie man heute glauben mag. Nicht nur, weil man mangels Alternativen keinen Vergleich hatte, sondern schlicht, weil die Monitore wesentlich kleiner waren. Selbst Anfang der 1990er war man mit einem 15“-Monitor gut dabei. Skaliert man die gleichen Bilder auf einen modernen 32“-Bildschirm hoch, wirken die einzelnen Pixel wie riesige Klötze. Dazu kommt, dass die Grafik auf Röhrenmonitoren immer etwas verwaschen aussah, heute hingegen wirkt es gestochen scharf und man erkennt wirklich jeden rechteckigen Punkt.
Aber was bedeutet eigentlich Pixeln? Vereinfacht gesagt, wird jeder einzelne Punkt auf dem Bild per Maus gesetzt. Man zeichnet zwar immer wieder Linien und geometrische Formen, aber im Kern setzt man Punkt für Punkt auf den Bildschirm. Bei einer Auflösung von 320×200 Pixeln hat man somit 64.000 einzelne Punkte. Wer ein 1080p Bild komplett pixeln möchte, hat mit den 2.073.600 Pixeln reichlich zu tun.
Während man in den 1990er Jahren vermehrt auf Videos, 3D und Comics setzte sowie vereinzelt gerenderte Grafiken nutzte, wurden die gepixelten Bilder innerhalb der Demoszene und dessen Dunstkreis immer hochaufgelöster, schärfer und besser. Dabei bediente man sich vermehrt Fotovorlagen und Programmen wie Photoshop, wodurch das eigentliche Pixeln immer mehr in den Hintergrund geriet.
Doch dank Retro-Fieber kommt die alte Kunst wieder. ASCII und ANSI konnten für Spiele nicht wiederbelebt werden, die Pixelkunst hingegen lebt wie nie zuvor. Doch genau hier liegt der Hase im Pfeffer: Ist es authentisch?
Die Hardware
Wer heute ein authentisches Retro-Spiel erschaffen möchte, muss sich zunächst überlegen, auf welcher theoretischer Hardware das Spiel laufen würde. Anschließend muss der Grafikmodus entschieden werden. Dazu zwei Beispiele:
Auf einem MS-DOS PC wären u. a. CGA, EGA, VGA und SVGA möglich. Dazwischen gibt es große Unterschiede, wie etwa Auflösung und Farben.
CGA verfügt normalerweise über 16 Farben. In der Auflösung 320 x 200 werden vier davon verwendet. Nimmt man die Auflösung von 640 x 200 Bildpunkten, sind nur noch zwei Farben möglich, wobei Schwarz festgeschrieben ist und man lediglich eine zweite Farbe auswählen darf.
Entscheidet man sich für eine erweiterte EGA-Palette, hat man immerhin 64 Farben zur Verfügung, was deutlich bessere Abstufungen ermöglicht. Die Bildschirmauflösung beträgt normalerweise 640 x 350 Pixel.
Es ist zudem darauf zu achten, dass man nicht eine beliebige Farbpalette verwendet. Die Farben waren vordefiniert. Wer authentisch sein will, kann nicht einfach „irgendwelche“ Farben nehmen, auch wenn die Palette auf bspw. 64 Farben beschränkt wird.
Das zweite Beispiel betrifft den Commodore Amiga, der heute noch sehr beliebt ist und gerne emuliert wird. Doch Obacht: Amiga ist nicht gleich Amiga!
Je nach Gerät schwanken die Farben, die gleichzeitig angezeigt werden können, von 4086 (HAM-6) bis 256.000 (HAM-8). Und auch die Leistung der Geräte ist sehr unterschiedlich, was sich auf darstellbare Sprites, Kollisionsabfragen und vieles mehr auswirken kann. Der Amiga 1000 von 1985 hatte 7,09 MHz (PAL), der A4000 (1992) ging mit 25 MHz an den Start. Abgesehen davon startete die Amiga-Reihe mit 16 Bit, der 4000er hatte 32 Bit. Dass der Amiga 1200 einen 24-Bit-Adressbus hatte, ist dabei schon fast zu vernachlässigen.
Betriebssystem
Wer es sehr genau nehmen will, denkt auch an alte Betriebssysteme. Häufig werden bei Retro-Spielen beim Start DOS-Umgebungen simuliert. Teilweise richtig gut, teilweise recht schlampig. Die meisten Fehler werden beim simulierten Bootvorgang gemacht. Eher seltener ist die Simulation des damals sehr beliebten Norton Commanders. Windows, egal ob 1, 2, 3, 3.1 oder 3.11, kommt fast überhaupt nicht vor.
Dabei muss das, was man als Ziel erreichen möchte, nicht einmal konkret gezeigt werden. Dem Betrachter muss nicht vermittelt werden, ob hinter dem Spiel ein gedachtes 8, 16 oder 32 Bit-System steckt. Aber es sollte sich authentisch anfühlen. Und darin liegt oft der Knackpunkt. Bspw. wird eine, auf Screenshots, überzeugende 8 Bit-Welt gezeigt, die aber in Geschwindigkeit und Effekten sich anfühlt wie eine 16 oder 32 Bit Umgebung.
Raumausnutzung
Natürlich fährt heute kaum noch ein Spiel in eine Auflösung von 320 x 200 Bildpunkten. Selbst die alten Schinken auf GOG werden i. d. R. hochskaliert. Aufgrund der modernen Bildschirmtechnologie wirken die Pixel gestochen scharf. Der Unterschied zu den modernen Retro-Indie-Spielen sind aber die Details.
Dazu ein Beispiel: Angenommen, ein altes Spiel besteht vorwiegend aus 16 x 16 Sprites. Diese Auflösung wurde, so gut es ging, ausgenutzt. 30 Jahre später landet das Spiel auf GOG und die ursprüngliche 320 x 200 Auflösung wird auf 1280 x 800 hochskaliert, also um den Faktor vier. Aus 16 x 16 wird 64 x 64, aber jeder Bildpunkt wird vervierfacht.
Bei modernen Indie-Spielen hingegen beginnt man gleich mit 64 x 64 und hat somit 16 Mal mehr Pixel für jeden einzelnen Frame zur Verfügung. Damit erreicht das Spiel einen Detailgrad, wie er zur angedachten Zeit, nicht möglich gewesen wäre.
Weitere Abweichungen
Modernes Retro weicht auch in vielen anderen Punkten ab. So etwa die Anzahl Frames pro Animation und die Zahl der graphischen Objekte allgemein. Das Limit alter Spiele war vor allem dem Grafikspeicher geschuldet. Zwar konnte man dies mit einigen Tricks optimieren, aber irgendwann war der Speicher voll. Heute spielt das keine Rolle mehr und so kommt es, dass eine Laufanimation gerne 120 Frames haben kann, wo sie 1988 nur aus 8 Frames bestand.
Heutiges Retro verwendet gerne verschiedenfarbige Lichter, optional mit Schatten. Auf alter Hardware war dies i. d. R. nicht möglich. Von Partikeln, Alpha-Blending, aufwändigen Übergängen, physikalisch korrektes Wasser usw. ganz zu schweigen.
Ja, es gab Ausnahmen und Tricks, aber in den meisten Fällen konnten nur ein bis zwei dieser Features umgesetzt werden, aber nicht alle. Selbst die hübschesten Spiele ihrer pixeligen Zeit wirken heute bedauernswert simpel.
Ergo: Moderne Retrospiele erinnern an eine Zeit, die es niemals gab, aber die wir gerne gehabt hätten.
Ist das schlimm? Meistens nicht, aber es ist nun einmal nicht authentisch.
Vorgehensweise
Es gibt drei Ansätze, wie man das Retro-Problem lösen kann.
- Man hat einen oder mehrere gute Künstler, die – unabhängig von realer Hardware – einen tollen Retro-Style entwickeln. Das hat den Vorteil, dass man seine eigenen Konventionen schafft und nicht in die Nerd-Falle tappt. Quasi: „EGA hatte damals nur 64 Farben, ich zähle aber 68!“
- Man wählt, wie oben beschrieben, eine alte Hardware mit Betriebssystem und Grafikmodus aus und versucht ein Spiel zu schaffen, welches damals möglich gewesen wäre. Der Aufwand ist relativ hoch, dafür ist es aber, wenn man seine Arbeit gut macht, authentisch. Am besten hat man sogar selbst die alte Hardware bei sich zuhause stehen.
- Kopiere ein Vorbild. Wenn man sich z. B. dafür entscheidet, ein Spiel zu machen, das sich so spielt und aussieht, wie Kings Quest I (1984), dann fischt man sich lediglich eine der Plattformen heraus, auf denen es erschien, und baut es nach. Über viele Dinge muss man sich keine Gedanken machen, sofern man gut kopiert.
Bewusste Abweichungen
Dabei kann man sich entweder 1:1 an das Vorbild halten, oder gezielt abweichen. Etwa statt 64 Farben 256 verwenden. Oder die Auflösung der einzelnen Frames erhöhen. Natürlich gilt dies auch für das Gameplay, wenn man etwa statt eines englischen einen deutschen Parser verwendet.
Doch das muss gut überlegt sein. Für manche dieser Entscheidungen wird man gefeiert, für andere gesteinigt. Und man darf nicht vergessen, dass manche Abweichungen nötig sind, um das Gameplay heute noch erträglich zu machen. Flüssigere Animationen werden gerne gesehen, eine direktere Steuerung ist selten ein Nachteil. Und wenn man den Schwierigkeitsgrad an moderne Bedürfnisse anpasst, macht man sicher keinen Fehler.
Weiterführende Links
//www.asciiart.eu/
//16colo.rs/
//demozoo.org/
//twitter.com/jojo073jose
//www.xente.mundo-r.com/jojo073/