Zu den großen Herausforderungen im Gamedesign gehört es, dem Spieler Steuerung, Regeln sowie neue Features beizubringen. Einerseits soll dies deutlich genug geschehen, damit es bemerkt und erlernt wird, andererseits darf es nicht zu aufdringlich sein, um den Spieler nicht aus der Spielwelt zu reißen. Dieses Tutorial zeigt verschiedene Techniken.
Vor einigen Jahren veröffentlichen wir eine kleine Serie zum Thema „Didaktisches Gamedesign“. Dieses Tutorial greift sich den Aspekt der Lernkurve in Spielen auf und behandelt dies tiefer. Wer mehr über Gamedesign-Grundlagen wissen möchte, sollte sich auch die dreiteilige Serie durchlesen.
Was ist eine „Lernkurve“?
Eine Lernkurve in Bezug auf Spiele bezieht sich auf die Rate, mit der Spieler neue Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen sammeln. Diese Kurve zeigt an, wie schnell oder langsam Spieler die Herausforderungen und Mechaniken des Spiels verstehen und beherrschen. Der Sammelbegriff lautet Kompetenz. Eine Lernkurve beschreibt im Wesentlichen die Entwicklung der Kompetenz eines Spielers im Verlauf der Spielzeit.
Man sollte zwischen notwendiger und tatsächlicher Kompetenz unterscheiden. Ist die tatsächliche Kompetenz an einer Stelle geringer als die notwendige, wird der Spieler höchstwahrscheinlich scheitern. Nachfolgend beziehen sich die Aussagen auf die notwendige Kompetenz.
Eine flache Lernkurve bedeutet, dass Spieler leicht in das Spiel einsteigen können, während eine steile Lernkurve darauf hinweist, dass das Spiel anfangs schwieriger zu meistern ist und mehr Zeit und Aufwand erfordert.
Die Lernkurve kann in verschiedenen Phasen eines Spiels variieren. In der Anfangsphase kann sie steil sein, da die Spieler die Grundlagen und Mechaniken kennenlernen müssen. Mit der Zeit kann sich die Lernkurve abflachen, wenn die Spieler ihre Fähigkeiten verbessern und sich an die Spielwelt anpassen. Einige Spiele haben auch absichtlich steile Lernkurven, um erfahrene Spieler herauszufordern und ein tieferes Gameplay-Erlebnis zu bieten.
Die Gestaltung der Lernkurve ist ein wichtiger Aspekt des Spieldesigns und kann die Spielererfahrung erheblich beeinflussen. Eine ausgewogene Lernkurve kann Spieler motivieren, während eine zu steile Kurve Frustration verursachen kann. Ist die Lernkurve zu flach, führt sie ebenfalls zu Enttäuschung, weil das Spiel als viel zu einfach empfunden wird. Daher ist es für Spieleentwickler entscheidend, die Lernkurve ihres Spiels sorgfältig zu gestalten, um ein positives Spielerlebnis zu gewährleisten.
Die Zielgruppe
Die Lernkurve in Spielen häng stark mit der Zielgruppe oder dem Spielerprofil zusammen. Das Spieldesign und die Gestaltung der Lernkurve sollten eng auf die Bedürfnisse, Erwartungen und Fähigkeiten der Zielgruppe zugeschnitten sein. Die wichtigsten Aspekte des Zusammenhangs zwischen Lernkurve und Zielgruppe sind folgende:
Spielerfahrung und Spielerfähigkeiten
Die Spielerfahrung kann je nach Zielgruppe sehr unterschiedlich sein. Ein Spiel, das sich an Gelegenheitsspieler richtet, sollte in der Regel eine flachere Lernkurve aufweisen, um sicherzustellen, dass auch Anfänger schnell Spaß haben können. Für erfahrene Spieler oder Hardcore-Gamer kann die Lernkurve steiler sein, um eine größere Herausforderung zu bieten.
Interessen und Präferenzen
Die Zielgruppe kann unterschiedliche Interessen und Präferenzen haben. Einige Spieler bevorzugen intensive, schnelle Herausforderungen, während andere ein entspannteres Gameplay bevorzugen. Das Spieldesign sollte diese Präferenzen berücksichtigen. Dies lässt sich, je nach Genre, relativ gut über den Schwierigkeitsgrad steuern.
Altersgruppe
Das Alter der Zielgruppe kann ebenfalls die Gestaltung der Lernkurve beeinflussen. Spiele für Kinder haben in der Regel einfachere Lernkurven, während Spiele für erwachsene Spieler komplexere Herausforderungen bieten können.
Zugänglichkeit und Barrierefreiheit
Spiele sollten auch auf die Zugänglichkeit und Barrierefreiheit für unterschiedliche Zielgruppen geachtet werden. Dies kann die Anpassung von Schwierigkeitsgraden, die Verfügbarkeit von Tutorials und die Optionen für barrierefreies Gameplay umfassen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass man unnötige Hürden abbaut, indem man bspw. auf eine Rot-Grün-Sehschwäche achtet.
Das Genre
Je nach Genre unterscheidet sich vor allem der Einstieg in das Spiel extrem. Ein klassischer Shooter wie Doom ist in Sachen Steuerung und Möglichkeiten in Sekunden erlernt. Ein Strategiespiel wie Battle Isle hingegen bietet von Anfang an so viele Möglichkeiten, dass der Spieler kaum drum herum kommt, sich zunächst mit dem Handbuch zu befassen.
Generell sollte man bei der Entwicklung zwischen Casual-Spiele und Hardcore-Titeln unterscheiden, wobei es natürlich viele Titel gibt, die irgendwo dazwischen liegen.
Jump’n’Run-Spiele
Flache Lernkurve: Viele klassische Jump’n’Run-Spiele wie Super Mario Bros. haben flache Lernkurven, um neue Spieler schnell in das Gameplay einzuführen. Die Grundmechaniken des Springens und Rennens sind einfach zu erlernen.
Echtzeit-Strategiespiele (RTS)
Steile Lernkurve: RTS-Spiele wie Command & Conquer erfordern komplexe strategische Entscheidungen und eine schnelle Handlungsfähigkeit. Die Lernkurve ist oft steil, da die Spieler die Spielmechaniken und Strategien erst erlernen müssen. Wie man eine solche Lernkurve abflachen kann, zeigen die Missionen von StarCraft 2.
Rollenspiele (RPG)
Variable Lernkurve: RPGs können unterschiedliche Lernkurven haben. Ein Spiel wie The Elder Scrolls: Skyrim bietet eine flache Lernkurve für den Einstieg, während es den Spielern die Freiheit gibt, ihre Charaktere und Fähigkeiten zu entwickeln. Andere RPGs wie Dark Souls haben steilere Lernkurven und erfordern präzise Kampffähigkeiten.
Rennspiele
Flache Lernkurve: Die meisten Rennspiele haben eine flache Lernkurve, da die grundlegenden Prinzipien des Gasgebens und Lenkens einfach zu verstehen sind. Dennoch können sie zusätzliche Herausforderungen wie das Beherrschen von Strecken erfordern. Generell sollte man hier zwischen Arcade und Simulation unterscheiden.
Puzzle-Spiele
Variable Lernkurve: Puzzle-Spiele können von sehr flachen bis zu steilen Lernkurven reichen, abhängig von der Art der Rätsel. Spiele wie Tetris haben flache Lernkurven, während Rätsel-Abenteuerspiele wie The Witness eine steilere Lernkurve für das Verstehen komplexer Rätsel bieten.
Ego-Shooter (FPS)
Variable Lernkurve: Die Lernkurve in FPS-Spielen kann variabel sein. Spiele wie Call of Duty haben oft flachere Lernkurven, um neuen Spielern den Einstieg zu erleichtern. Taktische Shooter wie Rainbow Six Siege können hingegen eine steilere Lernkurve haben, da sie Teamarbeit und Präzision erfordern.
Survival-Spiele
Steile Lernkurve: Survival-Spiele wie Don’t Starve haben in der Regel steilere Lernkurven, da die Spieler schnell lernen müssen, wie sie überleben, Ressourcen sammeln und Gefahren vermeiden.
Generell ist es besser, eine flache Lernkurve zu planen und sie über Schwierigkeitsgrade anspruchsvoller zu machen. Die Hürden, die sich uns stellen, sind Multiplayer-Spiele und Highscorelisten. Auf diese Fälle gehen wir später ein.
Planung von Lernkurven
Das sind viele Informationen. Wie plant man nun eine Lernkurve? Ist das überhaupt möglich? Ja, man kann sie planen, aber niemals ganz exakt, sofern das Spiel nicht vollständig von einer hochentwickelten KI gesteuert wird.
Wenn wir uns die o. g. Fakten anschauen, gibt es einige Informationen, die wir gut verarbeiten können. Als Gamedesigner haben wir eine klare Zielgruppe vor Augen, die wir gut kennen sollten. Außerdem kennen wir das Genre. Zudem können wir beurteilen, wie viele einzigartige Spielelemente unser Game aufweist. Diese Informationen helfen uns bereits, einen groben Plan zu entwerfen. Die große Unbekannte ist der individuelle Spieler. Wir wissen nicht, welche Kompetenzen er bereits mitbringt, welche Spielelemente er wie gut wahrnimmt und natürlich kennen wir nicht seine Tagesform.
Der grobe Plan
Dieser sieht i. d. R. so aus, dass wir auf der einen Seite die Liste aller Features haben. Je nach Komplexität und Zielgruppe schalten wir sie aber nicht alle sofort frei. Selbst bei sehr einfachen Spielen wie Match-3-Spielen kommen viele Features erst im späteren Spielverlauf. Das heißt, wir müssen uns überlegen, welche Elemente der Spieler sofort braucht und wie wir den Rest verteilen.
Dies bedeutet z. B., dass wir zumindest eine grobe Anzahl von Levels, Missionen, Episoden oder andere Unterteilungen einplanen müssen. Nehmen wir als Beispiel einen Ego-Shooter. Im ersten Level hat der Spieler nur zwei Waffen, Messer und Pistole. Er kann diese benutzen und herumlaufen. Somit kann er die ersten einfachen Gegner aus dem Weg räumen und das Levelende erreichen. Im zweiten Level gibt es eine zusätzliche Waffe, außerdem farbige Schlüssel, um bestimmte Türen öffnen zu können. Im dritten Level taucht ein Schutzanzug gegen Säure auf und es kommen zum ersten Mal Leitern ins Spiel.
Wichtig ist, hierbei festzulegen, nach wie vielen Leveln der Spieler alle Features kennen lernen muss. Das wiederum hängt von der Komplexität ab. Es kann sein, dass es bereits nach 5% erledigt ist, manchmal aber erst nach einem Drittel. Bestimmte Features gibt es möglicherweise nur an einer Stelle im Spiel, etwa dem Bossgegner. Allerdings sind solche Entscheidungen immer gefährlich, wenn der Spieler plötzlich etwas wissen muss, was zwanzig Spielstunden lang nicht gefordert war.
Feintuning
Das Feintuning ist immer mit Testspielern verbunden. Optimal ist es, wenn der Entwickler mehrere Spieler beobachtet, ohne ihnen zu helfen. Dabei sollte er sich fragen, ob der Spieler jederzeit alles verstanden hat bzw. auch, auf welche Art er scheitert. Positiv ist es, wenn dem Spieler selbst klar ist, warum er gescheitert ist und seinen Fehler beim nächsten Durchgang vermeidet.
Ist dem nicht so, muss über das Leveldesign, Missionsdesign oder schlicht die Lernkurve nachgedacht werden. Es ist durchaus möglich, dass ein Spiel an einigen Stellen unerwartet schwierig wird. Führt es zu Frust, muss es auf jeden Fall abgeschwächt werden.
Merke: Als Spieleentwickler wird man sehr schnell zum Meister seines eigenen Spiels. Vor allem beim Leveldesign kann es passieren, dass man viel zu schwierige Herausforderungen kreiert, weil man es selbst hunderte von Stunden gespielt hat. Gleiches gilt übrigens auch für das Rätseldesign.
Alle spielen online
Nun kommen wir zu den bereits angedeuteten Hürden. Viele Techniken funktionieren online überhaupt nicht oder nur bedingt. Gerade hier tummeln sich mit der Zeit immer mehr Profis, was bei Anfängern sehr schnell zu Frust führt. Um dies zu minimieren, gibt es auch hier einige Möglichkeiten.
Solo-Kampagne
Das ist natürlich ein gehöriger Mehraufwand, aber so bietet man oft auch doppelten Spaß. Es ist immer gut, wenn man ein Spiel alleine und im Multiplayer spielen kann. So hat jeder die Möglichkeit, das Spiel so zu spielen, wie er möchte.
Alternativ kann es auch einen Trainingsraum geben, in denen Spieler zumindest die grundlegende Steuerung und die Mechaniken kennenlernen können.
Ligen und Ratings
Bei Sportspielen bieten sich verschiedene Ligen an. Wenn man ganz unten beginnt, trifft man eher auf Anfänger. Außerdem kann man die Spielstärke berechnen, auch wenn diese Zahl nicht immer öffentlich gemacht werden muss. Hier bietet sich bspw. die Elo-Zahl an. Anhand solcher Ratings können auch entsprechende Turniere gestaltet werden, wie sie etwa auf Schachplattformen üblich sind.
Spielern aktiv helfen
Kleinere Spiele mit einer Community haben oft die Möglichkeit, dass ein Admin oder neutrale Spieler Neueinsteigern helfen, etwa über einen Chat. Allerdings sollte man es nicht übertreiben. Amateure neigen dazu, neue Spieler so sehr mit Informationen zu nerven, dass sie das Spiel gleich wieder verlassen.
Man sollte meinen, dass solche Probleme nur bei PvP auftreten, nicht aber bei PvE. Da wir von Online-Spielen reden, kann auch PvE zu einem Problem werden, wenn einige Anfänger den besseren Spielern das Erlebnis versauen. Als Entwickler muss man solche Konstellationen bedenken und Wege finden, wie bspw. niedrig gestufte Spieler mit Profis zusammenspielen können. Oder man entscheidet sich generell dagegen und lässt nur Gruppen gleichwertiger Spieler zu. Das hat aber den Nachteil, dass Freunde ggf. nicht zusammen spielen können, sofern die Fähigkeiten und Stufen sehr unterschiedlich sind.
Highscorelisten
Abgesehen vom Problem des Cheatings kann es hier vor allem zu Schwierigkeiten kommen, wenn das Spiel mehrere Schwierigkeitsgrade hat. Dazu gibt es zwei Lösungsansätze:
- Man hat pro Schwierigkeitsgrad eine Highscoreliste.
- Man hat nur eine Highscoreliste, aber Spieler, die auf einem niedrigeren Schwierigkeitsgrad spielen, erhalten für Erfolge weniger Punkte. Dies motiviert den Spieler möglicherweise, einen höheren Schwierigkeitsgrad zu probieren, um besser zu werden.
Beide Möglichkeiten sind legitim und werden praktiziert. Ich selbst finde den zweiten Ansatz eleganter.
Fazit
Die Lernkurve richtig hinzubekommen gehört zur Kernkompetenz eines Gamedesigners. Die beste Geschichte und die tollsten Features bringen nichts, wenn die Spieler frustriert aufgeben. Spiele sind da, damit Spieler Spaß haben. Und Spaß haben sie erst dann, wenn der Schwierigkeitsgrad für jeden Spieler richtig dosiert wird.
Dabei ist die Herausforderung groß. Man muss in erster Linie die Zielgruppe beachten. Hinzu kommen das Genre und die eigenen Features.
Onlinespiele stellen eine besondere Herausforderung dar, sofern die Spieler direkt miteinander zu tun haben, was bei vielen Spielen mit einer reinen Online-Highscoreliste nicht der Fall ist.
Der beste Weg, eine möglichst optimale Lernkurve hinzubekommen, besteht aus zahlreichen Tests. Das erfordert viel Zeit und es ist manchmal mühsam, über viele Stunden hinweg Spielern dabei zuzuschauen, wie sie das eigene Spiel spielen. Wer dies aber ernsthaft durchführt und auf Feedback entsprechend reagiert, wird mit Sicherheit mehr Erfolg haben und bessere Spiele erschaffen.
Weiterführende Links
Das Element der Überraschung
2D-Leveldesign
Statistiken in Spielen
Frustspirale – Designschnitzer in Spieleklassikern
Früher war man ja oft schon nach zehn Schritten tot, da hat sich einiges zum Positiven gewendet. Aber es gibt immer noch genug Spiele, die mit langatmigen Erklärungen oder Tutorials beginnen, statt mich spielerisch in das Geschehen einzuführen.