Wenn man an die guten alten DOS-Spiele denkt, ist Secret Agent sicher kein Titel, den viele Spieler in ihre Top 10 wählen würden. Selbst in einer Top 100 wäre das Spiel – falls überhaupt vorhanden – auf den eher hinteren Plätzen. Dabei hatte der simple Plattformer einige herausragende Elemente, die für heutige Spieleentwickler interessant sein können.
Agent der frühen Neunziger
Secret Agent erschien 1992 als Shareware. Die erste Episode des Side-Scrolling-Plattformers war somit kostenlos, die restlichen beiden mussten käuflich erworben werden. Agent 006, wie die Hauptfigur genannt wird, ist einer der Top-Agenten des FBI. Er läuft, springt und schießt durch nicht besonders große Level und trotzt dabei zahlreichen Gefahren.
Wie zu jener Zeit auf dem PC üblich, war das Spiel in EGA, also 16 Farben. Entwickelt und vertrieben wurde es von Apogee. Das Spiel nutzte dieselbe Engine wie das ein Jahr zuvor veröffentlichte Crystal Caves.
Der pixelige James Bond
Was die Handlung betrifft, so kann der kleine Agent fast schon mit dem großen Kinohelden mithalten. Die Diabolical Villain Society – oder D.V.S. – hat die Baupläne für eine orbitale Rubinlaserwaffe mit dem Codenamen „Red Rock Rover“ gestohlen. Die Blaupausen wurden auf drei Insel-Hochburgen der D.V.S. sichergestellt. Die aktuelle Mission von Agent 006: die Blaupausen zurückholen. Jede Inselhochburg enthält 15 Radaranlagen. Alle fünfzehn müssen ausgeschaltet werden, bevor Agent 006 in die D.V.S.-Festung auf der Insel eindringen kann, wo die Blaupausen aufbewahrt werden.
Im Prinzip ist das nichts Besonderes und nicht einmal so originell wie Commander Keen. Aber bei Secret Agent kommt es vor allem auf die Spielmechanik an.
Eine Ansammlung origineller Ideen
Jede Episode unterteilt sich in 16 Level. Es gibt keine feste Reihenfolge, in der sie gespielt werden müssen, aber die Hauptfestung kann erst betreten werden, wenn alle anderen 15 Level abgeschlossen sind. Auf den ersten Blick wirkt das Spiel auch wie Standardkost. Der Agent hat eine Waffe, ist aber auch schnell verwundbar. Er bewegt sich durch die Level, zerstört das Radar und muss dabei ein paar Computer hacken, um voranzukommen.
Jedes Level ist – mal mehr, mal weniger – eine labyrinthische Struktur. Um die Ausgangstür zu öffnen, wird ein Bündel Dynamit benötigt, um diese aufzusprengen. Natürlich liegt das Dynamit zufällig irgendwo herum.
Agent 006 wird durch verschlossene Türen und Laserstrahlen behindert, die nur mit einer Schlüsselkarte geöffnet und deaktiviert werden können, indem man eine Diskette zu einem Computerterminal bringt. Es gibt zusätzliche robotische und menschliche Feinde, außerdem Fallen wie Stacheln und Säurebecken, die der Spieler durchqueren muss. Der Agent beginnt einen Level mit drei Gesundheitspunkten. Wenn er alle drei verliert, stirbt er, und das Level beginnt von neuem, wobei der Punktestand des Spielers auf den Stand zu Beginn des Levels zurückgesetzt wird.
Feinde und bestimmte Gefahren ziehen einen Lebenspunkt ab, wenn sie Agent 006 treffen, während andere, wie Landminen, ihn sofort töten. Allgemein war der Schwierigkeitsgrad ziemlich knackig, da es sehr viele, teils schlecht sichtbare Fallen gibt.
Um höher gelegene Bereiche zu erreichen, muss der Spieler unter Umständen auf schiebbare Fässer zurückgreifen. In einigen Levels gibt es auch spezielle Brillen, die, wenn sie eingesammelt werden, mehrere Plattformen sichtbar machen und den Zugang zu zuvor unerreichbaren Bereichen ermöglichen. Der Moment, in dem man das erste Mal diese Brille aufsammelt, ist großartig, weil sie eine tolle Überraschung darstellt.
Power-Ups
Generell gehören solche Power-Ups zu den coolen Ideen des Spiels. Dazu zählen Munition, Turnschuhe, die die Geschwindigkeit des Agenten für kurze Zeit erhöhen, und eine Pistole, die schnelleres Schießen ermöglicht. Es gibt auch Gegenstände, die lediglich Punkte geben. Wenn ein menschlicher Gegner getötet wird, wird er durch einen Grabstein ersetzt; der Spieler kann ihn entweder zerstören (was 100 Punkte einbringt) oder ihm seinen Respekt erweisen (was 1.000 Punkte einbringt).
Jedes Level enthält auch die Buchstaben „S“, „P“ und „Y“. Der Spieler erhält 10.000 Punkte, wenn er sie in der richtigen Reihenfolge aufsammelt, und 25.000 Punkte, wenn er das Level, ohne Schaden zu nehmen abschließt. Dieses Prinzip kennt man auch aus Duke Nukem 1.
Es gibt auch Gegenstände, die Krankheiten verursachen, wie ein Gegenstand, der die Geschwindigkeit von Agent 006 für kurze Zeit verlangsamt, und ein Fragezeichen, das die Funktion der linken und rechten Taste für kurze Zeit umkehrt.
Episodennamen
Die Namen der Episoden sind Anspielungen auf beliebte Filme und Fernsehsendungen: „The Hunt for Red Rock Rover“ ist eine Anspielung auf den Film The Hunt for Red October, „Kill Again Island“ ist eine Anspielung auf Gilligan’s Island und „Dr. No Body“ ist eine Anspielung auf den Film Dr. No. Die Standard-Highscore-Liste besteht aus beliebten fiktiven Spionen wie Jim Phelps und Maxwell Smart.
Gegnerdesign
Die Gegner bestehen, neben den Fallen, aus Menschen und Robotern. So begegnet man bereits am Anfang einem riesigen Roboterhund. Die Menschen unterteilen sich in mehrere Stufen von Wachmännern, wobei die höheren Stufen schießen können.
Roboter und Menschen haben gemeinsam, dass sie in Richtung des Agenten laufen, sobald sie von ihm angeschossen werden. Bei den Menschen kommt noch hinzu, dass sich eine höhere Stufe in eine niedrigere verwandelt, statt sofort zu sterben. So muss man mehrmals auf die Wachleute schießen und erhält mit jedem Treffer einen schwächeren Gegner, statt ihm einfach nur Energie abzuziehen. Das ist wirklich originell. Einige Gegner sind sogar immun gegen die Schüsse des Agenten, andere können nur auf eine bestimmte Weise beseitigt werden.
Es gibt auch Roboter, die nach ihrer Vernichtung „explodieren“ und deren Trümmerteile einen treffen können. Hier sollte man vor der Zerstörung Abstand halten, um ausweichen zu können.
Leveldesign
Wie bereits erwähnt, handelt es sich vorwiegend um kleine, labyrinthartige Level. Wenn man die richtigen Wege bereits kennt, kann man so ein Level in zwei bis fünf Minuten schaffen. In dieser Zeit kann auch nicht gespeichert werden.
Die Steuerung ist sehr genau. Es gibt kein Rutschen oder abgleiten, die Kollisionsbox ist pixelgenau, weshalb es manchmal so wirkt, als würde der Agent in der Luft schweben, obwohl er noch mit einem Pixel den Boden berührt. Für den Spieler ist das zunächst großartig, weil er die totale Kontrolle hat. Das Problem ist stellenweise, dass das Leveldesign auf diese Genauigkeit ausgelegt ist. Ein Pixel zu weit und man stirbt oder schafft ganz einfach eine höhere Ebene nicht.
Das mag 1992, als die Spiele ohnehin schwerer waren, kein Problem gewesen sein. In unserer Gegenwart, wo wir vorwiegend mit Emulatoren arbeiten, ist das hingegen ein großes Problem, weil die Steuerung nicht ganz so direkt ist. Oft handelt es sich nur um ein paar Frames, aber diese sind ausschlaggebend für den Erfolg. Zum Glück gibt es bei Secret Agent aber eine gute Lösung, auf die ich später eingehen werde.
Leider sind auch einige Stellen im Spiel recht unfair. Immer wieder muss man Passagen pixelgenau überwinden – und das mehrmals. Die Lernkurve ist im Prinzip nicht vorhanden. Man wird sofort in das Stahlbad des Agentenlebens geworfen. Manchmal kommt man in Sackgassen, wenn man etwa vergisst, das Fass mitzunehmen, oder es schlicht übersieht. Wenn man außerdem stirbt, weil sich hinter dem einzusammelnden Objekt eine unsichtbare Falle steckt, möchte man am liebsten den Monitor perforieren.
Kurz gesagt: Etwas frustresistent sollte man schon sein. Durch die zahlreichen Möglichkeiten, es gibt innerhalb der Level auch oft Teleporter, sind die einzelnen Level recht abwechslungsreich. Betrachtet man Episode 2 und 3, kommt nicht mehr viel Neues. Es ist lediglich noch mehr vom guten Stoff. Ob das ausreicht, um über 48 knallharte Level die Motivation aufrecht zu erhalten, muss jeder für sich entscheiden.
Gefälliges EGA
Bedenkt man die technischen Einschränkungen, sieht Secret Agent wirklich hübsch aus. Die Level sind architektonisch in Räume unterteilt, die entsprechend dekoriert wurden. Neben den vielen sammelbaren Objekten und Gegnern gibt es somit auch noch einiges zu betrachten, nachdem das Level gesäubert wurde.
Manche Level haben als Hintergrund einen Nachthimmel. In einigen Räumen hängen Lampen von der Decke, durch die ein bestimmter Bereich aufgehellt bzw. der Rest verdunkelt wird. Außerdem sind ein paar der Animationen wirklich hübsch gestaltet. Besonders gefallen mir die Laufanimationen der Wachen.
Sound aus der Dose
Das Original verfügt leider über keine Musik. Die wenigen Soundeffekte kamen damals aus dem PC-Speaker – und genauso klingen sie. Als hätte jemand Aluminiumdosen zerdrückt und mit einem ganz schlechten Mikrofon aufgenommen. Damals hat mich das natürlich nicht gestört, auch nicht die fehlende Musik. Heutzutage wirkt der Agent aufgrund der fehlenden Akustik sehr einsam.
Pressestimmen
Die Play Time fasste es im Oktober 1992 wunderbar zusammen:
Auch hier zeichnet sich die Grafik durch schnelles Scrolling aus und ist schön animiert. Nur der Sound kommt leider bloß aus dem PC-Lautsprecher, was aber der Spielqualität nicht schadet.
Sie vergab 77 von 100 Punkten, was ich absolut für angemessen halte.
Freegame.cz vergab 2003 (!!!) 92 von 100 Punkten für den Klassiker. Die Meinung begründet sich u. a. darauf, dass es besser ist, als Crystal Caves.
Wenn Sie Crystal Caves mochten, werden Sie Secret Agent lieben. Es stammt nicht nur vom gleichen Hersteller, sondern läuft auch mit der gleichen Engine. Glücklicherweise ist es nicht identisch mit CC, so dass es Ihnen eine Menge Spaß bringen wird.
Press Play On Tape erinnerte sich 2020 so an das Spiel:
Was also macht dieses einfache Spiel so unterhaltsam? Es ist die gelungene Kombination aus Jump’n’Run-Spaß, einem Hauch von Rätselspaß und der netten Vielfalt an Power-Ups, Gegenständen und anderen Possen, die mir damals Spaß gemacht haben.
Secret Agent heute
Natürlich kann man heute noch das Original spielen, auch auf GOG und Steam. 2021 veröffentlichte Emberheart Games zusammen mit Apogee Entertainment Secret Agent HD. Hierbei handelt es sich um eine neu entwickelte Version, bei der das alte Spiel nahezu 1:1 in Unity nachgebaut wurde.
Das Spiel ist auf GOG und Steam erhältlich und wirkt auf das ungeübte Auge wie das Original. Tatsächlich gibt es grafisch einige Detailverbesserungen, nicht nur die hohe Auflösung. Auffälligste inhaltliche Neuerung ist der Leveleditor, mit dem man endlich eigene Missionen gestalten kann. Außerdem gibt es eine vierte Episode, die ebenfalls aus 16 Level besteht.
Für die HD-Version wurde neue Musik eingespielt, die dank AdLib-Charme so retro klingt, als wäre sie von 1992. Diese hört man nicht nur im Hauptmenü, sondern auch auf der Karte der Levelauswahl und im Level selbst. Die Soundeffekte hingegen klingen immer noch wie damals.
Insgesamt ist es wirklich ein großartiges Spiel, bei dem auch die Steuerung so funktioniert, wie man sie von damals in der (verklärten?) Erinnerung hat. So eine Version würde ich mir auch von Duke Nukem 1 wünschen.
Mein Fazit
Bei der Beurteilung von Secret Agent schwanke ich stark hin und her. Einerseits gibt es ein paar Dinge, vor allem beim Schwierigkeitsgrad, die mich sehr nerven und die ich einem modernen Spiel, egal ob Indie oder nicht, nicht verzeihen würde. Aus der Retro-Perspektive ist es dennoch ein grandioses Spiel. Es ist ein weiteres Beispiel dafür, dass man mit vier Richtungstasten und zwei Funktionstasten, also Springen und Schießen, sehr viel Spaß haben kann.
Als Hobbyspieleentwickler gibt es einiges, was man von Agent 006 lernen kann. Auf der negativen Seite sind das natürlich die bereits erwähnten Dinge. Eine Lernkurve wäre ebenso hilfreich wie fairere Stellen. Die HD-Version kommt dem Spieler immerhin entgegen und spendiert drei Schwierigkeitsgrade, wobei „normal“ dem Original entspricht.
Auf der positiven Seite haben wir ein paar tolle Ideen, ein teils sehr gutes Leveldesign und vor allem den kreativen Umgang mit den Limitierungen seiner Zeit. Solche Spiele würden meiner Meinung nach heute noch – wahrscheinlich sogar im Browser – hervorragend funktionieren.
Weiterführende Links
2D-Leveldesign
Frustspirale – Designschnitzer in Spieleklassikern
Arcade-Spiele – die Mutter aller Genres?