Im Herbst 1993 machte mein Vater einen seiner wenigen großen Fehler im Leben – zumindest von denen ich wusste. Auf seinem ansonsten für die Arbeit geschaffenen PC startete er die Shareware-Version von Epic Pinball. Den zweiten Fehler beging er gleich darauf: Er ließ mich spielen.
Bis dahin hatte ich nur wenige elektronische Spiele gespielt, und die meisten davon waren – wie es sich für meinen Vater gehörte – eher Versoftungen bekannter Karten- und Brettspiele. Doch dann kam Epic Pinball und veränderte meine Welt.
Shareware ins Glück
Die Shareware-Version des Spiels hatte nur einen Tisch: Android. Doch das reichte aus, um mich zahllose Stunden an den Computer zu fesseln. Zunächst waren da die goldfarbenen Wände auf grauem Hintergrund mit dunkelblauen und roten Verzierungen. Der große blaue Android in der Mitte war ein Blickfang auf dem 15“-Monitor. Hinzu kam die grandiose Musik, die im Scream Tracker 3 komponiert wurde. Und die – für meine damaligen Ohren – großartigen Soundeffekte, die zusammen mit der Musik aus den kleinen Boxen kamen, an deren Anfang eine etwas in die Jahre gekommene Sound Blaster Soundkarte stand. Es war für mich ein gewaltiger Sprung von Kartenspielen und 2D-Schach hin zu einem so realistisch wirkenden Flipper.
Den dritten Fehler begingen meine Eltern gemeinsam – was wohl an meiner ewigen Nerverei lag: Zu Weihnachten kauften sie mir die Vollversion, die vier Tische enthielt. Ab dann konnte man mich fast nur noch mit Gewalt vom PC meines Vaters trennen. Dass ich so auf die Vollversion vernarrt war, lag auch an den Meldungen, die erschienen, wenn man das Spiel verließ. Man solle die Shareware kopieren, verteilen und bitte auch die Vollversion kaufen. Kopiert und verteilt habe ich tatsächlich, ganz nach Epics Wunsch – allerdings nur, um später meine Klassenkameraden in die virtuellen Schranken zu verweisen und mich auf deren PCs in den Highscorelisten zu verewigen.
Vorpubertärer Erwachsener
Dass es auch andere virtuelle Flipper gab, wusste ich damals nicht. Für mich existierte nur Epic Pinball. Dass es mich derart in den Bann zog, hatte mehrere Gründe: Es sah genial aus, klang wundervoll und war in den Details sehr verspielt. Allein die Art, wie sich das „Game Over“ vom Bildschirm bewegt, finde ich heute noch großartig.
Eine zentrale Faszination übte für mich die Tatsache aus, dass ich damals drei Dinge damit verband, erwachsen zu sein: Alkohol, Zigaretten und Flipper in einer Kneipe. Da ich zu jener Zeit noch auf meine ersten Pickel wartete, sollten Bier und Glimmstängel noch auf sich warten lassen, aber immerhin hatte ich einen Flipper und durfte mich wie ein Großer fühlen.
Faszination
Das Spiel zeichnete sich durch eine flüssige Spielmechanik und authentische Soundeffekte aus, die das klassische Flipper-Erlebnis mit den Mitteln der damaligen Zeit originalgetreu nachbildeten. Die Spielphysik ist aus heutiger Sicht eher ein Witz, doch damals empfand ich sie als äußerst realistisch. Ich bezeichnete die Grafik sogar als „fotorealistisch“. Mit dieser Meinung war ich nicht allein: Auch Freunde, die etwa einen Amiga besaßen, waren schon von der Shareware-Version völlig begeistert. Als ich die Vollversion mit drei weiteren Tischen hatte, war ich für einige Wochen der beliebteste Junge in der Schule – zumindest so lange, bis die anderen aufgaben, mich nach Kopien zu fragen. Am Anfang der Vollversion wies Epic darauf hin, dass es keine Shareware war und nicht weiterkopiert werden durfte.
Die vier Tische
Android war für mich ganz klar der beste Tisch. Das lag nicht nur am Thema und der Optik, sondern auch am gesamten Design. Ich hatte ziemlich schnell das Gefühl, diesen Tisch extrem gut zu beherrschen, ohne auffallend oft wegen Pech oder schlechtem Design zu scheitern. Für mich ist es heute noch einer der besten Tische, die je designt wurden.
Pot of Gold war nicht ganz mein Thema, doch ich mochte die Musik und die Grafiken. Das Design war nicht wirklich schlecht, aber die über Kreuz liegenden Bahnen in der Mitte nervten mich irgendwie. Außerdem hatte die Kugel hier einen ausgeprägten Hang, ins Aus zu fallen – aber das galt leider auch für andere Tische.
Excalibur fand ich anfangs genial, was vor allem am Thema lag. Beim Spielen musste ich immer an meine Klemmbausteine mit Rittern denken, doch irgendwann ließ die Begeisterung merklich nach. Während mich die Musik weiterhin faszinierte, nervte mich das Tischdesign mit der Zeit immer mehr, weil ich nie das Gefühl hatte, die gleiche Kontrolle zu besitzen wie bei Android.
Crash & Burn hingegen war für mich der zweitbeste Tisch, allerdings nicht von Anfang an. Zunächst hatte ich damit zu kämpfen, dass der Ball immer gleich nach dem Start ins Seitenaus geriet. Irgendwann stellte ich jedoch zufällig fest, dass es viel besser funktionierte, wenn ich gleich nach dem Start die Leertaste drückte, um den Tisch leicht anzuheben. Dann schoss die Kugel wunderbar über Bande nach oben. Dass ich so lange ausprobierte, lag weniger an meiner Frustresistenz, sondern viel mehr am Thema: In jungen Jahren war ich von schnellen Autos und Autorennen begeistert. Diese Leidenschaft wurde später durch Autounfälle, bei denen ich zum Glück nur Zuschauer war, stark gebremst.
Nachschub
Die vier genannten Tische waren das erste Paket. Epic brachte später zwei weitere Pakete mit ebenfalls je vier Tischen heraus, und es verstand sich von selbst, dass ich meinen Eltern so lange in den Ohren lag, bis ich auch diese erhielt.
Meine Gefühle dazu waren gemischt. Gleich der erste Tisch aus dem zweiten Paket, Magic, fand ich extrem nervig. Das Thema hätte einen kleinen Jungen wie mich begeistern sollen, aber die Musik und das gesamte Tischdesign waren nicht meine Welt. Während Jungle Pinball ganz okay war, begeisterte mich Deep Sea total und löste für eine Weile sogar Android als Lieblingstisch ab. Enigma hingegen fand ich sehr originell, doch leider stürzte das Spiel dort immer wieder ab.
Auch das dritte Paket konnte mich nicht restlos begeistern. Cyborgirl fand ich noch ziemlich gut, auch wenn mich das Tischdesign erst einige Jahre später beeindruckte. Pangaea hielt ich in jeder Hinsicht für missglückt. Space Journey war ein tolles Thema, das mich auch grafisch und akustisch begeisterte, mit dem Tischdesign bin ich jedoch nie warm geworden. Und zu guter Letzt gab es Toy Factory. Grafisch toll gemacht, auch das Tischdesign war nicht übel, aber thematisch holte es mich nicht ab. Ich wollte „erwachsen“ sein, Kinderspielzeug hatte ich genug in meinem eigenen Zimmer.
Insgesamt war es eine gute Ansammlung von Flippertischen. Epic verstand es, die Sinne wunderbar anzusprechen, aber nüchtern betrachtet war es weit davon entfernt, perfekt zu sein. Das Versprechen, das durch den ersten Tisch der Shareware gegeben wurde, konnte irgendwie nie ganz eingelöst werden. Dennoch war das Spiel kommerziell sehr erfolgreich, womöglich gerade wegen dieses Versprechens.
Kritiken
Auf dem kleinen 386er meines Vaters lief das Spiel nicht wirklich flüssig. Das merkte ich erst, als ich die Shareware bei Freunden spielte und anschließend wieder zu Hause war. Diese Probleme lösten sich, als mein Vater von seinem Chef einen 486er spendiert bekam, den ich natürlich sofort mit Epic Pinball und anderen Spielen enterte.
Das Tischdesign war nur selten genial. Immer wieder enthielten die Tische Elemente, durch die man die Kontrolle verlor. Magic schien sogar nur aus solchen Elementen zu bestehen. Einige Amiga-Fans hielten Pinball Fantasies für den wesentlich besseren Flipper. Als ich es Jahre später spielte, konnte ich das zumindest teilweise nachvollziehen, aber nicht in allen Punkten. Epic Pinball hatte zweifelsohne seine Stärken und Vorzüge, auch wenn ich beispielsweise die Menüsteuerung deutlich umständlicher fand als bei anderen Spielen. Was mich heute noch nervt, sind kleinere Kollisionsprobleme, teils Aussetzer in der Physik und natürlich die bereits erwähnten Abstürze. Das ist selbst in der DOSBox noch so.
Die erste große Liebe
Trotz allem ist Epic Pinball für mich heute noch wie die erste große Liebe. Man kann es schwer erklären, wenn es einen erwischt hat, und ebenso schwierig ist es, dagegen zu argumentieren, wenn der beste Freund behauptet, andere Frauen seien hübscher oder klüger. Man selbst entgegnet dann, dass die große Liebe das zauberhafteste Lächeln hätte. Und auf Epic Pinball trifft das definitiv zu. Selbst heute begeistern mich die vielen kleinen Details in Grafik und Sound. Man merkt einfach, dass die Programmierer mit sehr viel Liebe zum Detail gearbeitet haben.
Episch
Epic Pinball war zwar mein erstes Spiel von Epic, aber nicht mein letztes. Durch das zweite Paket wurde ich auf Jill of the Jungle aufmerksam, das ich mir zumindest als Shareware besorgte. Auch Jazz Jackrabbit konnte mich total begeistern, und Jahre später wurde ich zum Unreal-Fan – allerdings von den Shootern, weniger von der Engine. Da hielt ich es eher mit Unity.
Bis Unreal Tournament 3 war ich sogar ein kleiner Epic-Fan, Freunde würden vielleicht behaupten, ich sei ein sehr großer Fan dieser Firma gewesen. Doch irgendwann verschoben sich meine Interessen durch Studium und Beruf, und kehrten später als Hobby zurück. Die Faszination für Hobbyspieleentwicklung verdanke ich auf jeden Fall Epic Pinball.
2D oder 3D
Auch heute gibt es zahlreiche Pinball-Spiele, allerdings vorwiegend in 3D. Ja, sie sind wesentlich realistischer, sehen dank moderner Technik besser aus und klingen authentischer als die alten 2D-Games.
Aber mir persönlich machen diese Spiele, mit wenigen Ausnahmen, nicht halb so viel Spaß wie Epic Pinball. Das liegt nur zum Teil an meiner etwas nostalgisch verklärten Sicht. Manchmal macht eine unrealistischere Abstraktion einfach wesentlich mehr Spaß. Es ist wie bei Autorennen: Die einen bevorzugen ultrarealistische Simulationen, die anderen arkadige Versionen. Ja, die Kollisionsprobleme und die teils merkwürdige Physik können nerven, aber die Verspieltheit der 2D-Tische und der damaligen technischen Möglichkeiten (320×240 Pixel bei 256 Farben) haben eine ganz eigene Faszination. Hinzu kommt der technische Aspekt: Selbst die CD-Version mit 13 Tischen und dem Emulator, die man auf GOG erwerben kann, kommt nicht einmal auf 20 MB!
Deshalb würde ich mir manchmal wünschen, dass gerade in der Indie-Szene mehr Mut zu 2D-Flippern gezeigt würde – auch wenn ich befürchte, dass solche Projekte kommerziell keinen großen Erfolg hätten. Selbst die 3D-Tische erfreuen sich keiner breiten Beliebtheit.
Presse
Bis auf wenige Ausnahmen waren die Reaktionen auf Epic Pinball äußerst positiv. Die PC Player war vom zweiten Paket nur wenig begeistert und stellte lediglich Enigma positiv heraus.
Die Power Play konnte sich etwas mehr darüber freuen und vergab 77 von 100 Punkten:
„Endlich! Schon seit Ewigkeiten habe ich auf eine wirklich gute PC-Flippersammlung gewartet. Epic Pinball erfüllt fast alle meine Forderungen an einen derartigen Zeitvertreib. Die Grafiken sind gelungen und abwechslungsreich, das Vertikal-Scrolling exzellent. Die Sounduntermalung durch eingängige Melodien und die obligatorischen Effekte sind eine Bereicherung für das Spielgeschehen. Die Nostalgietische konnten mich zwar nicht sehr lange in ihren Bann ziehen, aber die Erinnerung an diese Museumsstücke ist einfach erfrischend. Den ultimativen Adrenalin-Flash gibt man sich an meinen Lieblingsflippern ‚Crash n‘ Burn‘ und ‚Android‘. Alle nur erdenklichen Features erfreuen Herz und Finger. Annähernd gleichwertig zu Epics Knaller ist eigentlich nur Pinball Fantasies, das aber trotzdem nur zweiter Sieger bleibt.“
Die Power Unlimited überschlug sich geradezu in ihrer Kritik und vergab 90 Punkte:
„Epic Pinball ist viel, viel besser, hübscher, schneller und attraktiver als jedes andere Flipperspiel. Sehr empfehlenswert, das ist auch genau richtig. Es wurde gehofft, dass es auch für andere Systeme herauskommen würde, aber das ist nie passiert.“
Die ASM fasste es mit 92 Punkten perfekt zusammen:
„1A-Flipper-Simulation – eigentlich das Beste, was es zu diesem Thema für PC gibt.“
Fazit
Epic Pinball ist heute noch eine Reise wert, auch wenn es „nur“ 2D ist und im Emulator nicht ganz so gut rüberkommt wie auf einem echten 486er mit Röhrenmonitor. Insbesondere, weil bei der exzessiven Nutzung der Shift-Tasten Windows dazwischenfunkt und man die lächerlichen, aber störenden Meldungen ausschalten muss. Die Reise in die GOG-Version mit 13 Tischen lohnt sich absolut, auch wenn es hilft, sich in das Jahr 1993 zurückzuversetzen.
Heute würde ich mir ähnliche Indie-Titel mit entsprechender Liebe zum Detail wünschen. 2D, gerne etwas Retro, aber durchaus mit ein paar Vorzügen der Moderne. Musik und Soundeffekte dürfen aber gerne so sein wie damals.
Weiterführende Links
SimCity 2000
Duke Nukem 3D
Secret Agent
Wolfenstein 3D
Battle Chess