Im August wurde Köln erneut zum Epizentrum digitaler Freuden. In der rauen Atmosphäre der AbenteuerHallenKALK fand die Evoke 2024 statt – ein Treffen der Demoszene, das längst Kultstatus erlangt hat. Vom 16. bis 18. August zogen Programmierer, Grafiker, Musiker und andere digitale Künstler in diese einzigartige Symbiose aus Technik und Kunst ein. Auch in diesem Jahr maßen sich die Teilnehmer in freundschaftlichen Wettbewerben, die von Innovation und Leidenschaft geprägt waren.
Anfänge und Gegenwart
Wenn man an Köln und Computer denkt, kommt einem meist die Gamescom in den Sinn, die seit 2009 in der Domstadt beheimatet ist. Doch lange bevor die Gamescom in Köln ihre Tore öffnete, gab es bereits die Evoke. Sie startete 1997 in einem Jugendheim in Arnoldsweiler und zog ein Jahr später nach Aachen. 1999 und 2000 fand sie in der Kulturhalle Langerwehe statt. Nach einer Pause im Jahr 2001 kehrte die Evoke 2002 zurück – diesmal nach Köln, wo sie bis heute heimisch geblieben ist.
Die Teilnehmerstruktur hat sich seit den Anfangstagen stark verändert. Während die Demoszene damals fast ausschließlich aus jungen Männern bestand, die ihre Männlichkeit in einer intellektuell dominierten Subkultur unter Beweis stellten, ist die Szene heute deutlich diverser. Der Frauenanteil ist gestiegen, sogar Kinder sind auf der Evoke zu sehen. Die Szene ist gereift und wird mittlerweile von der zweiten, vielleicht sogar dritten Generation getragen.
Früher waren diese Partys knallharte Wettbewerbe, heute sind sie vor allem ein Treffpunkt Gleichgesinnter. Der gemeinsame Nenner ist die Kunst, und aus dieser Leidenschaft ist über die Jahre eine enge Gemeinschaft entstanden. Man begrüßt sich nicht mehr nur mit einem Händedruck – Umarmungen und herzliche Küsse sind die Norm. Es geht nicht nur um den Respekt vor den kreativen Leistungen, sondern auch um den Respekt für die Menschen dahinter. Nur wenige Subkulturen zeichnen sich durch eine derart gelebte Toleranz aus. Geschlecht, Aussehen, Kleidung – all das spielt keine Rolle. Hier zählt der Mensch im gravitativen Einflussbereich der digitalen Kunst. Die Evoke hat sich zu einer großen Familienfeier entwickelt, zu der jeder herzlich eingeladen ist.
Party wie früher
„Party like it’s 1997“ – unter diesem Motto stand die Evoke 2024. Eine nostalgische Hommage an die Anfänge, die natürlich nur die positiven Aspekte von damals betonte. Jeder Teilnehmer verbindet mit 1997 seine eigenen Erfahrungen und Gefühle, und für einige der Anwesenden ist es mehr als nur eine Reminiszenz – sie waren damals schon dabei und können aus erster Hand berichten.
Doch nicht alle sind mit der heutigen Atmosphäre zufrieden. Einige vermissen den harten Wettbewerbscharakter, der einst das Rückgrat der Szene bildete. Sie argumentieren, dass dieser Druck zu besseren Leistungen und hochwertigeren Veröffentlichungen führte. Tatsächlich waren die 1990er und frühen 2000er Jahre eine Ära voller Innovationen und technischer Durchbrüche. Heute scheint man solche Entwicklungen mit der Lupe suchen zu müssen. Allerdings liegt das weniger am nachlassenden Wettbewerb als vielmehr daran, dass viele technische Möglichkeiten bereits ausgeschöpft sind. Neue Innovationen erfordern nicht nur kreative Ideen, sondern auch einen enormen Aufwand – eine Zeitinvestition, die sich ein Familienvater oder Berufstätiger vielleicht nicht mehr leisten kann. Die Szene ist älter geworden und besteht nicht mehr aus Schülern und Studenten.
Doch ganz verschwunden ist der Wettbewerbsgeist nicht, er hat sich lediglich ins Internet verlagert. Wo früher auf Partys noch lautstark ausgebuht wurde, gibt es heute Applaus – die Kritik folgt dann online. Zwar ist diese nicht mehr so harsch wie einst, doch die Chefkritiker und Nörgler der Szene sind noch immer aktiv und geben ihre Meinung kund. Gerne kommen die kritischsten Stimmen von denjenigen, die den lautesten Applaus spendeten.
Die erste Nacht
In der ersten Nacht der Evoke treffen die meisten Teilnehmer ein. Sie bauen ihre Ausrüstung auf, begrüßen alte Bekannte und neue Gesichter, und tauschen sich bei Getränken und Snacks aus. Die Atmosphäre ist geprägt von intensiven Gesprächen, während im Hintergrund ein DJ für die passende musikalische Untermalung sorgt. Ein besonderes Highlight dieser ersten Nacht war ab etwa 21 Uhr die „Evoke 25 Demoshow“, bei der die besten Demos und Intros der vergangenen Jahre präsentiert wurden. Hunderte Zuschauer verfolgten gespannt die großartigen Werke und belohnten sie mit begeistertem Applaus.
Währenddessen sitzen einige wenige Teilnehmer noch an ihren Rechnern, vertieft in die letzten Anpassungen ihrer Werke. Die ersten Deadlines rücken näher: Um Mitternacht müssen die Pixel-Grafiken abgegeben werden, und ab Samstag um 11 Uhr folgen die nächsten Abgabefristen. Die letzte und zugleich wichtigste Deadline ist für Sonntagmittag um 12 Uhr angesetzt – dann müssen die Beiträge für die prestigeträchtigen Wettbewerbe in den Kategorien 4k, 64k und Demo eingereicht sein.
Doch trotz des konzentrierten Arbeitens einiger weniger herrscht insgesamt eine ausgelassene Stimmung. Die Evoke ist nicht nur ein Wettbewerb, sondern auch eine große Familienfeier, die bis zu 500 Teilnehmer zusammenbringt.
Abgesehen von den etwa vierzig Organisatoren, die das Event ermöglichten, musste jeder Teilnehmer einen Eintrittspreis entrichten. Für die rund 48 Stunden voller digitaler Kunst, kreativer Wettbewerbe und gemeinschaftlicher Erlebnisse wurden 40 Euro fällig – ein fairer Preis für die intensive und inspirierende Atmosphäre, die die Evoke zu bieten hatte. Außerdem durfte man so auch an den Wettbewerben teilnehmen und Preise gewinnen.
Tag der Wettbewerbe
Der Samstag brach an, und kurz vor 12 Uhr fanden sich die ersten Szenemitglieder zum Frühstück ein. An der Bar wurden mit wenig Liebe gemachte, aber kalorienreiche Brötchen angeboten – eine Scheibe Wurst oder Salami, wahlweise mit Paprika oder Gürkchen, mussten genügen. Viel wichtiger als das Essen war ohnehin der Kaffee, der in Strömen floss. Bald darauf standen die ersten Seminare an, bevor sich die Party langsam dem Höhepunkt näherte: den Wettbewerben. Für einige Stunden ruhten die jahrelang aufgebauten Freundschaften, und eine spürbare Spannung erfüllte die Halle. Jeder war neugierig darauf, was die anderen geleistet hatten. Doch am Ende, so viel war sicher, würde man sich wieder in den Armen liegen. Die Kämpfe werden später in den Kommentarspalten im Internet ausgetragen.
Gespräche einer Szene
Wer glaubt, die Gespräche auf der Evoke würden sich nur um Bits und Bytes drehen, irrt sich gewaltig. Das internationale Publikum tauschte sich in verschiedenen Sprachen aus – Englisch, Französisch, Spanisch, Niederländisch und natürlich Deutsch. Die Gespräche drehten sich nicht nur um Technik, sondern auch um Erinnerungen an vergangene Partys, Reiseerfahrungen in Irland oder Fastfood bei einem Burger King in Spanien. Auch das persönliche Krafttraining in Berlin kam zur Sprache. Gelegentlich wurde über Retrocomputer gefachsimpelt. Selbst bei den meisten Wettbewerben standen die persönlichen Gespräche im Vordergrund und nicht der eigentliche Wettbewerb.
Während die Deadlines immer näher rückten, hörte man ein Wort besonders häufig: Compofiller. Diese Beiträge, die schnell zusammengeschustert werden, sind nicht besonders gut, sollen aber dennoch den Wettbewerb beleben und sicherstellen, dass überhaupt ein Wettbewerb stattfindet. Dieses Phänomen ist seit Jahren ein Problem der Szene. Das Niveau der Veröffentlichungen ist in den letzten zwei Jahrzehnten drastisch gesunken. Was heute teils bejubelt wird, hätte man in den 1990er Jahren nicht einmal zum Wettbewerb zugelassen – oder es wäre schlicht ausgebuht worden. Hier zeigen sich der krasse Wandel der Szene und die Abkehr vom rein elitären Gedanken. Zwar gibt es hin und wieder Lichtblicke – so auch auf der Evoke 2024 – aber wirklich herausragende Produktionen sind zur Seltenheit geworden. Auf der Party selbst scheint das kaum jemanden zu stören, denn Harmonie und Gemeinschaft stehen im Vordergrund. Doch sobald die Kunstwerke ihren Weg in die Internetarchive finden, erscheinen auch die – oft übertriebenen – kritischen Stimmen.
Musik und Grafik
Ein besonderer Reiz der Demoszene-Partys liegt in der Ungewissheit. Kaum jemand weiß im Voraus, wer welche Beiträge einreichen wird. Manchmal müssen Wettbewerbe mangels Teilnehmer abgesagt werden, dann wieder gibt es so viele Einreichungen, dass sich die Präsentationen über mehrere Stunden hinziehen. Diese völlige Überraschung – sowohl hinsichtlich der Anzahl als auch der Qualität der Beiträge – macht einen großen Teil des Charmes der Evoke aus.
Ab 14 Uhr beginnen die Wettbewerbe mit den Kategorien Tracked Music und ANSI/ASCII. Diese klassischen Disziplinen finden nicht immer die größte Beachtung, doch echte Kenner wissen ihre Komplexität und Historie zu schätzen. In diesem Jahr wurde die Musik von Drum and Bass dominiert.
Später ging es mit OGG/MP3-Musik weiter. Hier gab es eine Mischung aus typischen Tracks der Szene und solchen, die stark nach KI-Generierung klangen. Ein Aufschrei blieb allerdings aus.
Echtzeitanimationen
Ab 19 Uhr spitzte sich der Wettbewerb zu. Pixelgrafiken zierten die große Leinwand, gefolgt von Freestyle Graphics, Animationen, 3D-Szenen und den 4k-Grafiken. Dabei bezieht sich „4k“ nicht auf die Auflösung, sondern auf die Dateigröße: In lediglich vier Kilobyte steckt eine programmierte Grafik – eine Spezialität der Szene, die mittlerweile fast schon Kultstatus erreicht hat. Das Niveau der Einreichungen war dieses Jahr solide, doch die Szene hat in der Vergangenheit schon deutlich beeindruckendere Werke hervorgebracht.
Parallel zu den Wettbewerben konnte online abgestimmt werden. Jeder, der Eintritt bezahlt hatte, erhielt Zugang zum Party-Netzwerk, wo er seine Stimme für die besten Beiträge abgeben konnte.
Der „Interactive“-Wettbewerb erfreute sich auch dieses Jahr keiner großen Beliebtheit; lediglich drei Teilnehmer reichten ihre Werke ein. Früher gab es mehr Spielewettbewerbe, insbesondere in den Rubriken 32 und 96 Kilobyte. Heute können im Wettbewerb alle Arten von interaktiven Medien teilnehmen – von Spielen über Programme bis hin zu sogenannten Diskettenmagazinen und Music-Discs.
Die Höhepunkte
Dann wurde es richtig spannend: Der Wettbewerb „Alternative Platform“ stand an. Ganze 15 Beiträge auf klassischen Maschinen wurden präsentiert, darunter Demos und Intros für den Commodore 64, Amiga, Nintendo 3DS, Sega Megadrive, Vectrex und BBC Micro. Die Vielfalt der Plattformen macht eine faire Beurteilung schwierig, doch das Publikum ist fachkundig genug, um die technischen Leistungen hinter den Beiträgen angemessen einzuschätzen. Dennoch blieb das Niveau dieses Jahr hinter den Erwartungen zurück.
Am Ende des Abends folgen die Höhepunkte: die 4k-, 64k-Intros und die Demos. Bei den 4k-Intros gab es leider nur fünf Einreichungen und bei den 64k-Intros sogar nur vier. Dafür konnten sich die Zuschauer an zwölf Demos erfreuen, von denen fast alle für Windows programmiert waren – lediglich zwei liefen im Browser.
Das Niveau der Beiträge war insgesamt durchschnittlich. Dennoch sorgten die Demos „Paradise“ von mfx und „Daydreamer“ von teadrinker für ausgelassene Partystimmung und landeten auf den ersten beiden Plätzen – mit einem denkbar knappen Abstand von nur einem Punkt.
Ende und aus
Die Nacht wurde durch weitere Livesets gekrönt, die bis zum Morgengrauen für Stimmung sorgten. Bis 8 Uhr hatten die Teilnehmer noch Zeit, ihre Stimmen abzugeben, bevor ab 13 Uhr die Preisverleihung begann. Die Bühne bot ein Bild der gemischten Gefühle: Viele Gewinner strahlten vor Freude, während sich bei manchen die Frustration über verpasste Plätze widerspiegelte.
Nachdem die letzten Trophäen vergeben waren, machten sich die Teilnehmer auf den Heimweg. Für die allermeisten wird es jedoch nicht die letzte Party des Jahres gewesen sein. Die Demoszene lebt von ihrer aktiven Gemeinschaft, und viele Scener besuchen mehrere Events im Jahr – oft europaweit oder sogar weltweit. Die Szene hat sich zu einer gefestigten Subkultur entwickelt. Auch wenn die Zahl der aktiven Mitglieder seit den 1990er Jahren zurückgegangen ist und die durchschnittliche Qualität der Veröffentlichungen nicht mehr die gleiche Höhe erreicht wie damals, ist die Gemeinschaft enorm gewachsen.
Auf den Partys hat man die Gelegenheit, den Profis über die Schulter zu schauen und leicht ins Gespräch zu kommen. Die T-Shirts der Teilnehmer – mit Motiven wie Atari, Amiga oder MOS 6502 – sind oft ein Indikator für ihre technischen Vorlieben und laden zum Austausch ein. Diese persönliche Nähe und die leidenschaftliche Gemeinschaft sind es, die die Demoszene auch heute noch lebendig und relevant halten. Während sich die Türen der Evoke 2024 schlossen, war klar: Die Reise geht weiter, und die nächsten Treffen sind bereits in Planung.
Weiterführende Links
Mehr als nur eine Party
Intros: Im Schwarzschild-Radius der Demoszene!
Tracker: Die programmierte Musik
Retro-Grafik gestern und heute
Externe Links
Evoke 2024 auf Demozoo
Evoke auf Pouet
Deutschsprachige Dokumentation über die Demoszene
Mit Elite hat die Szene schon lange nichts mehr am Hut. Die alten Hasen haben keine Lust mehr darauf und die neueren in der Szene feiern sich vorwiegend selbst. Da stören eigentlich nur noch die Competitions. ^^
Es gab schon schlechtere Jahre auf der Evoke, aber auch deutlich bessere. Die Evoke war für mich aber noch nie die “Elite-Party”. Wenn man den Niedergang der Szene anschauen will, muss man auf die Assembly schauen. In den 1990er Jahren kamen die besten Demos von dort, mittlerweile ist es eher eine Fremdschäm-Party. Hinzu kommt, dass zumindest in weiten Teilen über fehlenden Nachwuchs gejammert wird, sich aber die Szene immer noch als extrem unzugänglich erweist. Mir scheint es vermehrt eine narzisstische Gruppierung zu sein, die mehr auf Männer in Frauenkleider als auf kreativen Output und Nachwuchsförderung fokussiert ist. Die deutsche Antwort… Weiterlesen »
Zwischenzeitlich hat sich die Nachwuchsarbeit durchaus verbessert, auch wenn in den 90er Jahren in dieser Hinsicht viel Porzellan zerschlagen wurde. Wirklich zugänglich ist die Szene trotzdem nicht, auch wenn einige Journalisten immer wieder versuchen, die Situation zu verbessern. Ein Problem ist wohl, dass es in der Szene keine übergeordnete Organisation gibt. Ich denke, man versucht dies durch offizielle Vereine ein wenig zu kompensieren. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Demoszene derart exotisch ist, dass es schwerfällt, junge Menschen dafür zu begeistern. In den 1980er und 90er Jahren gab es kaum Alternativen für Menschen, die kreative Dinge am Computer machen… Weiterlesen »