In der Frühzeit der Computerspielegeschichte gab es zahlreiche Pioniere, deren Einfluss bis in die heutige Zeit reicht. Roberta Lynn Williams, am 16. Februar 1953 in Los Angeles geboren, ragt dabei besonders hervor. Ihr erstes Spiel veröffentlichte sie, als sie bereits 27 Jahre alt war. Sie ist eine großartige Geschichtenerzählerin und für Spieleentwicklerinnen ein bisschen das, was Marie Curie für Naturwissenschaftlerinnen und Amelia Earhart für Pilotinnen ist: eine Pionierin mit Vorbildcharakter.
Aus einer computerlosen Zeit
Als Roberta das Licht der Welt erblickte, wussten die meisten Menschen nicht einmal, was Computer sind. Sie wuchs in einer durchschnittlichen amerikanischen Familie auf und zeigte früh ein Interesse an Geschichten. Während ihrer Kindheit und Jugend las sie gerne Bücher, war besonders von Märchen sowie Abenteuergeschichten fasziniert und wollte eigene Kinderbücher schreiben. Ihre schulische Ausbildung verlief eher unspektakulär. Nach der High School wurde sie Angestellte im Wohlfahrtsamt des Los Angeles County.
1972 heiratete sie Ken Williams, den sie zwei Jahre zuvor kennenlernte. Ihre ersten Dates waren oft in Computerräumen, da Ken gerade einen Informatikkurs belegte. Sie ahnten wahrscheinlich beide nicht, dass sie ein Unternehmen mit rund tausend Mitarbeitern aufbauen würden, welches Geschichte schreiben sollte.
Ken, die Kurzform von Kenneth, war Programmierer und kam aus eher ärmeren Verhältnissen. Er arbeitete u. a. für IBM – zu einer Zeit, als man die drei großen Buchstaben nicht mit PCs, sondern riesigen Maschinen in Verbindung brachte. Bereits als Kind hatte Ken sein Lebensziel klar vor Augen. In einem späteren Interview sagte er:
„So früh ich mich erinnern kann, habe ich den Leuten erzählt, mein Lebensziel sei es, ‚mit 30 reich‘ zu sein.“
Nachdem Roberta Williams im November 1973 ihren ersten Sohn, D. J., zur Welt brachte, arbeitete sie als Computer-Operator. 1979 gebar sie ihren zweiten Sohn, Chris, arbeitete zwischendurch als Programmiererin – in der Sprache COBOL. Sie hasste diesen Job und fragte sich, was sie mit ihrem Leben anfangen soll, schließlich träumte sie eigentlich vom Leben im Wald.
Textabenteuer
1979 brachte Ken ein Fernschreibterminal mit nach Hause und entdeckte beim Durchsehen des Softwarekatalogs des Hostsystems das Textadventure Colossal Cave Adventure. Er ermutigte Roberta, es mit ihm zu spielen. Sie war vom Spiel total begeistert.
„Ich war sofort so fasziniert, dass ich buchstäblich süchtig danach wurde.“
Das Spiel wurde 1976 vom Höhlenforscher und Programmierer William Crowther entwickelt und basiert auf den Aufzeichnungen seiner Ex-Frau Patricia Crowther über eine echte Höhlenforschungstour, kombiniert mit Elementen aus Dungeons & Dragons.
Das Colossal Cave Adventure spielte sie noch über den Drucker, da sie keinen Monitor dafür besaß. Das Terminal war mit einem Großrechner verbunden, der 3.000 Meilen entfernt stand. Sie tippte die Befehle ein und der Drucker gab die Antworten des Spiels zurück. So verbrachte sie viele Stunden damit, alle Höhlen zu erkunden, bis sie die höchstmögliche Punktzahl (350) erreichte.
Wie sehr ihre spätere Designphilosophie von Colossal Cave Adventure beeinflusst wurde, brachte sie mit folgenden Worten auf den Punkt:
„Meine Spiele sollten den Aspekt der Erkundung behalten.“
Das Abendessen
Nachdem Roberta einen Apple II nach Hause gebracht hatte, spielte sie andere Textadventures durch, um sie zu studieren. Irgendwann war sie der Meinung, sie könne selbst ein Spiel schreiben. Also setzte sich die Linkshänderin vor ein großes Blatt Papier und begann zu zeichnen und Ideen zu notieren. Dies tat sie, bis die ganze Geschichte mit allen Räumen und Geheimgängen fertig war. Das Problem war, dass sie es alleine nicht umsetzen konnte.
Um Ken – der gerade andere Pläne hatte – zu überreden, lud sie ihn in ein Restaurant zum Abendessen ein. Dabei erzählte Roberta von ihrer Spielidee. Sie redete laut, gestikulierte wild und sprach von den Morden im erdachten Spiel. Damit fing sie zugleich irritierte Blicke der anderen Gäste ein.
Die Idee gefiel ihrem Mann, aber ihn störte eine Sache: Es gab bereits mehrere reine Textspiele, aber Computer wie der Apple II waren mittlerweile in der Lage, Grafiken anzuzeigen. Er schlug vor, das Abenteuerspiel mit Grafik zu entwickeln. Roberta war davon ergriffen, aber noch mehr von der Tatsache, dass es Ken wirklich realisieren wollte.
Mit Kens Hilfe bei der Programmierung entwarf Roberta ihr erstes Spiel: Mystery House. Es wurde inspiriert von dem Roman And Then There Were None von Agatha Christie und dem Brettspiel Clue. Die siebzig Schwarz-Weiß-Grafiken, die Roberta erstellte, mussten von Ken komprimiert und digital ausgelesen werden. Da die vielen Bilder nicht ohne Weiteres auf eine Diskette gepasst hätten, entwickelte er ein Verfahren, bei dem nur die Eckpunkte gespeichert und später mit Linien verbunden wurden.
On-Line Systems
1979 gründete Ken die Firma On-Line Systems. Ursprünglich wollte er Unternehmenssoftware für den TRS-80 und den Apple II entwickeln. Doch mit Robertas Idee zu Mystery House änderte sich die Richtung entscheidend.
Das revolutionäre an Mystery House war die Verwendung von Grafik in einem Abenteuerspiel. Das Spiel beginnt in der Nähe eines verlassenen viktorianischen Herrenhauses. Schon bald ist der Spieler in dem Haus eingeschlossen und hat keine andere Wahl, als es zu erkunden. Das Haus enthält viele interessante Räume und sieben weitere Personen. Zu Beginn muss der Spieler das Haus durchsuchen, um ein Juwelenversteck zu finden. Schon bald tauchen Leichen der anderen Figuren auf und es ist offensichtlich, dass ein Mörder im Haus sein Unwesen treibt. Der Spieler muss herausfinden, wer es ist, oder er wird selbst ein Opfer.
Der Code des Spiels wurde in nur wenigen Tagen fertiggestellt, das Spiel wurde am 5. Mai 1980 veröffentlicht. Roberta betrachtete dies als das Gründungsdatum von Sierra On-Line. Daher feierte die Firma mehrere Jahre lang am 5. Mai ausgelassene Partys.
Erste Erfolge
Zur Überraschung der Williamses verkaufte sich Mystery House über den Versandhandel mehr als 10.000 Mal, manche Quellen geben sogar 15.000 an. Einschließlich der Wiederveröffentlichung 1982 durch die SierraVenture-Linie wurden schließlich weltweit 80.000 Einheiten verkauft, was es zu einem der meistverkauften Computerspiele jener Zeit machte. Die Grafik bestand allerdings nur aus groben, statischen Strichzeichnungen, waren aber ein großer Fortschritt zu reinen textbasierten Spielen.
Der Grundstein für eine erfolgreiche Zukunft war gelegt, aber eben nur ein Grundstein. Da Mystery House ein Erfolg war, wollte das Ehepaar darauf aufbauen und veröffentlichte eine Serie, die sie „Hi-Res Adventures“ nannten. Zwischen 1980 und 1983 erschienen sieben Spiele, nummeriert von 0 bis 6, wobei Mystery House als erstes Spiel die Nummer 1 hatte und das im selben Jahr erschienene Mission Asteroid auf die 0 gesetzt wurde. Es war als Einführung in das Genre der Abenteuerspiele gedacht und wurde daher einfacher gestaltet als die übrigen Hi-Res Adventures-Spiele. Somit erhielt es die Nummer 0, obwohl es als drittes Spiel erschien, da Wizard and the Princess als zweites Spiel – ebenfalls 1980 – veröffentlicht wurde.
Die Maschine
Roberta war fleißig. An fünf der sieben Titel war sie direkt als Designerin, Schreiberin und teilweise Produzentin beteiligt. Lediglich an Cranston Manor und Ulysses and the Golden Fleece (beide 1981) arbeitete sie nicht mit. Die Williamses hatten eine kleine Gelddruckmaschine und konnten sich bereits sehr früh weitere Mitarbeiter leisten, darunter mehrere Programmierer, Designer und Künstler. Einige der Titel wurden anschließend auf andere Computersysteme portiert, etwa den Atari 8-Bit-Maschinen, Commodore 64 und den PC.
Zur Zeit von Mystery House kümmerte sich Roberta auch um die Verpackung, den Versand und gab sogar am Telefon persönlich Tipps für die Rätsel.
Softporn
Aber auch sonst war sie sich für nichts zu schade. 1981 kauften Ken und Roberta das Spiel Softporn Adventure von Chuck Benton auf. Es handelte sich dabei um den geistigen Urvater von Leisure Suit Larry in the Land of the Lounge Lizards (1987). Softporn erwies sich als das einzige Abenteuerspiel, das Ken jemals alleine durchgespielt und gelöst hat. Die Verpackung wurde überarbeitet und enthielt nun das berühmt-berüchtigte Foto von drei barbusigen Frauen in einem Whirlpool. Bei den drei Frauen handelte es sich um Roberta und zwei weitere Mitarbeiterinnen von On-Line Systems.
Im Gegensatz zu Mystery House (die Screenshots sind von einer späteren Version) hatte Wizard and the Princess Farbgrafiken. Der Apple II konnte nur sechs verschiedene Farben gleichzeitig darstellen, aber durch geschickte Verwendung von Dithering – einer Technik, bei der durch das Mischen von Farbpixeln die Illusion weiterer Farben entsteht – war es möglich, mehr Farben auf dem Bildschirm zu erzeugen. Mit 60.000 verkauften Exemplaren war es für die damalige Zeit extrem erfolgreich.
Erprobungsphase
Wizard and the Princess kann inhaltlich als Vorläufer der King’s Quest-Reihe betrachtet werden. Die Geschichte basierte auf den vielen Märchen, die Roberta als Kind gelesen hatte. Es spielt im Land Serenia, wo König Georgs Tochter Prinzessin Priscilla von einem bösen Zauberer namens Harlin entführt wurde.
Harlin hat sie in seinem Schloss weit in den Bergen gefangen gehalten. Der König hat die Hälfte seines Königreichs demjenigen angeboten, der mutig genug ist, zum Schloss des Zauberers zu reisen, ihn zu besiegen und seine Tochter zurückzugeben. Der Spieler schlüpft in die Rolle eines Wanderers, der diese Herausforderung annimmt.
Robertas Ambitionen wuchsen mit der Entwicklung von Time Zone, einem Zeitreisespiel, das Tausende von Jahren umspannt und 1982 auf sechs doppelseitigen Disketten veröffentlicht wurde. Es war ein gigantisches Projekt mit 1.500 Bereichen (Bildschirmen) an 1.300 Locations, an dem zehn Personen knapp ein Jahr arbeiteten. Neben primitiven Höhlenmenschen traf man auch historische Persönlichkeiten wie Kleopatra, Christoph Kolumbus oder Gaius Julius Caesar.
Sierra On-Line
1982 wurde On-Line Systems in Sierra On-Line umbenannt. Die Firma zog nach Oakhurst, Kalifornien, um. Der Name „Sierra“ wurde von der Bergkette Sierra Nevada übernommen, die in der Nähe von Oakhurst liegt, und das neue Logo enthielt die Abbildung des Half Dome. Der Umzug hatte zwei Gründe. Zum einen expandierte die Firma so stark, dass man sich einen neuen Firmensitz oder zumindest ein neues Gebäude suchen musste. Da Robertas Eltern in den den Ruhestand gingen und nach Oakhurst zogen, fiel die Wahl der Eheleute ziemlich leicht. Der Ort mit heute knapp 6.000 Einwohnern und die nähere Umgebung stellten sich – nicht nur für das Firmenlogo – als großartige Inspirationsquelle heraus. In zahlreichen späteren Spielen findet man bspw. Gebäude und Landschaften, die quasi aus der Realität heraus abgepaust wurden.
Die Firma mit dem nun neuen Namen hatte schon in den ersten Jahren großen Erfolg. Bereits 1982 hatte Sierra rund hundert Mitarbeiter. Anfang 1984 schätzte InfoWorld, dass Sierra mit einem Umsatz von 12,5 Millionen Dollar im Jahr 1983 das weltweit zwölftgrößte Unternehmen für Mikrocomputer-Software war. Und das war noch vor der King’s Quest-Serie, welche zum endgültigen Durchbruch führte.
Während 1983 die Branche am Videospiel-Crash litt, konnte Sierra eine Umsatzsteigerung von 20 % vermelden. Für Sierra selbst war es dennoch eine Enttäuschung, schließlich wurde dem Unternehmen von Analysten eine Verdopplung prognostiziert.
Animiertes Sierra-Logo mit Sound
Erfolgsrezepte
Dass sich der Umsatz nicht verdoppelte, lag nicht zwingend am Videospiel-Crash. Viel mehr waren es Investitionen in Portierungen, welche fehlschlugen. Dies betraf Commodore-Rechner und den TI-99/4A, die am Ende des Jahres beide veraltet waren. Ken Williams war über die Geschwindigkeit verwirrt, wie zu jener Zeit neue Computer auf den Markt kamen und wieder verschwanden.
Rückblickend betrachtet waren die Portierungen allerdings eines der Erfolgsrezepte. Historisch betrachtet werden oft nur die schier endlosen Serien als Grund für den Erfolg angegeben, doch bei einer genaueren Betrachtung ist diese These nicht haltbar. Abgesehen davon, dass das Unternehmen generell viele gute Spiele veröffentlichte und einen guten Support bot, waren es u. a. folgende Gründe:
Portierungen
Die meisten Sierra-Spiele wurden für mindestens zwei weitere Systeme portiert. King’s Quest I, das 1984 erschien, landete am Ende auf neun teils sogar sehr unterschiedlichen Geräten, wie etwa dem Amiga und dem Master System. Da sie dies mit zahlreichen Titeln taten, kam man kaum an Sierra-Spielen vorbei. Selbst wenn man mit der Firma und den Abenteuerspielen nichts anfangen konnte: Sierra war omnipräsent.
Niedrige Hardwarevoraussetzungen
Durch den Charakter der Spiele, vor allem in den ersten Jahren, war keine besondere Hardware nötig. Die Spiele liefen grundsätzlich auf den meisten Geräten, schließlich war es nur viel Text und ein wenig Grafik. Das änderte sich ab King’s Quest etwas, aber selbst dann liefen die Titel auf nahezu jedem Büro-PC. Keine EGA-Grafik? Kein Problem, das Spiel unterstützt auch Tandy und CGA. Selbst auf einem Monochrom-Bildschirm sahen die eigentlich farbigen Grafiken noch gut aus.
Soundkartenunterstützung
Sierra war Vorreiter bei vielen Standards auf dem PC. Gerade bei Soundkarten war Ken Williams stets darum bemüht, möglichst alles zu unterstützen, was sich auf dem Markt durchsetzen könnte. Dies ist eines der Gründe, warum sich Creative Labs mit dem Sound Blaster-Standard etablierte. Sierra unterstützte diese Karte bereits, als sie niemand kannte. Und wer keine Soundkarte besaß, konnte sich, im weitesten Sinne, mit dem PC-Speaker vergnügen, der ebenfalls weiter unterstützt wurde.
Sierra verfolgte zu jener Zeit die Strategie der technischen Inklusion. Jeder sollte die Spiele spielen können und an seiner Maschine das maximale Spielvergnügen erfahren, zumindest audiovisuell.
Der dunkle Kristall
Etwa 1983 trat Jim Henson – der Schöpfer der Muppets – an Ken Williams heran, um noch vor der Veröffentlichung des Films The Dark Crystal eine Spieladaption zu entwerfen. Roberta Williams war von dem Projekt begeistert, da sie Videospiele für eine ebenso wichtige Facette der Unterhaltung hielt wie den Film.
Sie entwarf einen Großteil der Spieladaption auf Papier, wofür sie rund einen Monat brauchte. Das Spiel wurde 1983 unter demselben Namen, The Dark Crystal, veröffentlicht. Das viel beachtete Game brachte dem Unternehmen die Aufmerksamkeit der Mainstream-Medien ein, und Roberta hoffte, dass die Unterhaltungsindustrie nicht nur den Wert von Spielen, sondern auch den Wert der Künstler, die sie entwickelten, erkennen würde.
Softline schrieb 1983: „In gewisser Weise ist es besser als der Film“ und stellte fest, dass die „dünne Geschichte des dunklen Kristalls, die dem Film nicht gutgetan hat, im Spiel vergleichsweise erstklassiges Material ist“. Das Spiel erhielt ein Certificate of Merit in der Kategorie „1984 Best Computer Adventure“ bei den 5. jährlichen Arkie Awards.
Die Sache mit dem Junior
1983 stand auch IBM vor der Tür. Häufig war dies kein gutes Zeichen, doch Sierra hatte Glück. Es waren keine Anwälte, die mit einer langen Klageschrift wedelten. IBM bat Sierra darum, ein Spiel für seinen neuen Computer, den PCjr, zu entwickeln. Der PCjr (ausgesprochen „PC junior“) war ein Heimcomputer, der ab März 1984 produziert und vermarktet wurde. Die Erfolgsgeschichte war so riesig, dass das Projekt bereits im Mai 1985 beerdigt werden konnte, aber das ist eine ganz andere Story. Er war als preisgünstigere Variante des IBM-PCs mit besser für Videospiele geeigneten Hardware-Funktionen gedacht, um direkter mit anderen Heimcomputern wie dem Apple II und dem Commodore 64 zu konkurrieren. Um die Fähigkeiten zu zeigen, sollte Sierra also ein neues Spiel entwickeln.
IBM bot an, die gesamte Entwicklung und Vermarktung des Spiels zu finanzieren und Tantiemen zu zahlen. Bei Sierra knallten natürlich die Sektkorken. Nachdem der Rausch ausgeschlafen war, sagten Ken und Roberta zu.
Ein Königreich für IBM
Roberta entwarf eine Geschichte mit klassischen Märchenelementen. Ihr Spielkonzept umfasst animierte Farbgrafiken, eine Pseudo-3D-Perspektive, in der die Hauptfigur auf dem Bildschirm zu sehen ist, einen kompetenteren Textparser, der fortgeschrittene Befehle des Spielers versteht, und Musik, die über die PCjr-Soundhardware im Hintergrund abgespielt wird.
Für das Spiel wurde ein komplettes Entwicklungssystem namens Adventure Game Interpreter (AGI) entwickelt. Mitte 1984 wurde King’s Quest: Quest for the Crown unter großem Beifall veröffentlicht.
Für Sierra war das ein absoluter Glücksfall. Sie konnten ohne Risiko eine neue Technologie entwickeln, wurden dafür voll bezahlt, erhielten die Tantiemen und konnten das Spiel später für weitere Systeme portieren und dort den vollen Gewinn einstreichen. Der PCjr war 1985 bereits wieder tot, für Sierra ging die Erfolgsgeschichte erst richtig los. Mit der AGI-Engine ließen sich vergleichsweise einfach beliebig viele Abenteuerspiele erstellen. Und das taten sie auch.
Mehr über King’s Quest I: Quest for the Crown, die Handlung und die Geschichten der Nachfolger ist im entsprechenden EnDOSkopie-Artikel nachzulesen.
Disney
Sierra wurde innerhalb weniger Jahre zu einem großen Player in der Spieleindustrie. Beginnend im Mai 1980 mit Mystery House veröffentlichten sie bis Ende 1983 rund vierzig Spiele. Das bedeutet, dass knapp jeden Monat ein neuer Titel heraus kam. Dabei entwickelten sie nicht jeden Titel selbst, sondern traten teilweise lediglich als Publisher auf.
Auch wenn Robertas Abenteuerspiele das Aushängeschild des Unternehmens waren, bediente Sierra ganz unterschiedliche Genres. Crossfire (1981) war ein multidirektionaler Shooter. Der Arcade-Klassiker Frogger wurde 1983 von Parker Brothers für den VIC-20 konvertiert und von Sierra vertrieben. Lunar Leeper war ein horizontal scrollender Shooter, der von Chuck Bueche geschrieben und 1982 unter dem Sierra On-Line Label SierraVision veröffentlicht wurde.
Durch den guten Ruf von Sierra fühlte sich auch Disney angezogen und sie schlossen einen Vertrag über mehrere Spiele ab. Eines dieser Spiele war Donald Duck’s Playground, ein Lernspiel, welches 1984 veröffentlicht wurde. Designer war kein geringerer als Al Lowe, der später für seine Larry-Spiele berühmt werden sollte.
Roberta Williams hingegen widmete sich dem Projekt Mickey’s Space Adventure. Das Abenteuerspiel wurde von ihr entworfen und im Dezember 1984 veröffentlicht. Das Spiel war für Kinder gedacht. Die PC-Version wurde auf zwei 360 KB 5¼“-Disketten veröffentlicht. Die Zusammenarbeit mit Disney endete schließlich 1986, was Sierra veranlasste, Al Lowe mit dem ersten Larry-Teil zu beauftragen.
Serientäterin
Roberta war spätestens nach dem Disney-Spiel auf ihre Fantasywelt konzentriert. King’s Quest wurde ein Hit, die Technologie war da, also wurde es Zeit für Fortsetzungen. King’s Quest II: Romancing the Throne erschien bereits 1985.
Werbung für Space Quest I in King’s Quest II
Diese Fortsetzung bot nicht nur einen zweiten Blick auf das Leben von Sir Graham, sondern begründete auch eine Tradition, King’s Quest als Übungsfeld für talentierte Designer zu nutzen. Die zukünftigen Designer der Space Quest-Serie, Scott Murphy und Mark Crowe, schlossen sich dem Entwicklungsteam an. Sie trugen dazu bei, dass das Spiel zu einem noch größeren Erfolg wurde als das Original.
King’s Quest II enthält 14 Musikstücke, darunter auch klassische Werke wie Tschaikowskis Liebesthema aus Romeo und Julia. Die Musik wurde von Al Lowe produziert. Für die Texte im Spiel war neben Roberta auch Annette Childs verantwortlich.
Viele bewehrte Standards aus dem ersten Teil wurden übernommen und prägten maßgeblich die Abenteuerspiele der nächsten Jahre. So etwa die Punktezahl für die gelösten Rätsel, von denen einige optional waren. Auch hier lässt Colossal Cave Adventure grüßen. Die vielen Arten zu sterben, der EGA-Grafikstil, der mit jedem Titel verfeinert wurde und ein gewisser, teils sehr makabrer Humor wurden ebenfalls zum Standard.
Erben ist menschlich
Da King’s Quest II bei Spielern und Fachpresse gleichermaßen gut ankam, wurde gleich King’s Quest III: To Heir Is Human produziert und im November 1986 veröffentlicht. Roberta haderte zu jener Zeit damit, dass sie aus Platzgründen ihren Spielen nie die Tiefe geben konnte, die sie sich eigentlich vorstellte. Ab dem dritten Teil ihrer Fantasy-Saga wollte sie dies ändern. Das führte auch zu einigen Änderungen am Gameplay.
Das Intro von King’s Quest III
Die meisten Orte erscheinen auf einer magischen Karte. Sobald der Protagonist Gwydion eine neue Region erreicht, kann er die magische Karte benutzen, um in eine frühere Region zu reisen. Diese Funktion war bei einigen Fans unbeliebt, die behaupteten, sie mache das Spiel zu einfach. Daher waren die magischen Karten in zukünftigen Sierra-Online-Spielen in ihren Teleportationsfähigkeiten stärker eingeschränkt. Außerdem wurde am oberen Rand des Bildschirms eine Echtzeituhr angezeigt, von der abhängig bestimmte Aktionen ausgeführt wurden.
Die Kritik am Teleporter stammt aus einer Zeit, als die Wege von A nach B noch eine wesentliche Herausforderung in Spielen waren. Bei reinen Textadventures, aber auch bei Spielen vor King’s Quest, mussten Spieler Karten der Umgebung zeichnen. Das Erforschen der Umgebung, Kartenzeichnen und Notizen machen war ein zentrales Element der Spielerfahrung. Doch die Karte ergab, aus Sicht des Gameplays, durchaus Sinn.
Groß und schwer
Trotz der Reisefunktion war das Spiel deutlich schwieriger als seine beiden Vorgänger – und Nachfolger. Der Spieler musste Zaubersprüche Zeile für Zeile in ein Zauberbuch eintippen. Die Zaubersprüche dienten teilweise als eine Art Kopierschutz, obwohl das Spiel bereits über einen Diskettenschutz verfügte.
Außerdem waren viele Ereignisse zeitkritisch. Wenn man zu bestimmten Zeiten nicht im Haus war – und hier erklärt sich die Teleport-Funktion – oder man verbotene Objekte bei sich trug, wurde man vom Zauberer getötet. Deswegen musste man bis zu diesen Zeiten alle verbotenen Gegenstände unter dem Bett verstecken.
Klettern und stürzen
Aus heutiger Sicht erscheint die Kritik an der magischen Karte zudem unverständlich, weil man lediglich in die Region teleportierte, aber nicht genau in einem Gebäude oder gar Zimmer. Das führte u. a. dazu, dass man jedes Mal den beschwerlichen Weg zum Haus des Zauberers gehen musste. Beschwerlich, da jeder Fehltritt das Leben kostete.
Das war sehr typisch für Sierra-Spiele jener Zeit. Man stürzte überall ab, wenn man nicht aufpasste. Zwar konnte die Geschwindigkeit der Figur geregelt werden, genervt hat dies auf Dauer trotzdem. King’s Quest III war besonders voll von solchen Stellen. Teilweise musste man auch an Wänden entlang hangeln und pixelgenau aufpassen, dass man keinen Fehler beging.
Mondlogik
In Sierra-Spielen gab es auch immer wieder Rätsel, die sehr unlogisch erschienen. Sie wurden später „Mondlogik“-Rätsel genannt. Der Grund war eine zusätzliche Einnahmequelle: die Sierra-Telefonhotline. Verzweifelte Spieler riefen die kostenpflichtige Hotline an, um Hilfe bei den Rätseln zu erhalten. In den Handbüchern befanden sich zahlreiche Hinweise zur Lösung. Wer lediglich eine Raubkopie besaß, hatte ein Problem. Durch die kostenpflichtige Hotline und Lösungsbücher sollte ein Teil der entgangenen Einnahmen durch Raubkopien wieder reingeholt werden. Ken Williams, auf den Verkauf von Lösungsbüchern angesprochen, bestritt dies allerdings in einem Interview 2021:
„Ich versuche, mich zu erinnern, ob die Designer bei den Hinweisbüchern ein Stück vom Kuchen abbekamen, und ich glaube nicht. Die Karrieren der Designer standen und fielen, je nachdem, wie die Leute ihre Spiele mochten. Sie waren Unternehmer. Sie hätten eines ihrer eigenen Spiele nicht absichtlich sabotiert. Das Problem waren immer die Leute, die ein Spiel in den ersten 12 Stunden durchspielten. Die Designer hatten Probleme, die richtige Balance zwischen zu leicht und zu schwer zu finden.“
Mit 104 Bildschirmen war King’s Quest III deutlich größer als Teil eins (80) oder zwei (92). Al Lowe wurde der leitende Programmierer von King’s Quest III, während seine Frau Margaret stattdessen die Musik machte.
Die Quest-Explosion
Spiele mit „Quest“ im Titel wurden ebenfalls ein Markenzeichen von Sierra, auch wenn King’s Quest nicht der erste Titel war, sondern das arcadige Spiel B.C.‘s Quest for Tires von 1983. Dieses wurde allerdings von Sydney Development Corporation entwickelt und von Sierra On-Line lediglich vertrieben.
1986 startete Space Quest, eine Serie, die es bis 1995 auf sechs Teile und mehrere Remakes brachte. Police Quest startete 1987, bis 1993 wurden vier Teile veröffentlicht. 1995 ging die Serie in die Police Quest: SWAT-Ära über. Hier erschienen bis 2008 acht weitere Teile.
Suche nach Ruhm
Quest for Glory startete 1989. Das Spiel bewarb sich selbst als „drei Spiele in einem“, da es das erste Sierra-Spiel war, das die Auswahl eines Charakters aus drei Klassen erlaubte: Kämpfer, Magier und Dieb. Welche Klasse der Held einem Charakter zuweist, bestimmt weitgehend, mit welcher Ausrüstung der Charakter beginnt, wie er Rätsel lösen kann und auf welche Quests er stößt. Die Unterscheidung zwischen den Klassen war jedoch nicht absolut. Die Spieler konnten einem Charakter Fähigkeiten hinzufügen, die es ihm ermöglichten, Quests zu erfüllen, die mit anderen Klassen in diesem und anderen Spielen der Serie verbunden waren.
Quest for Glory führte einen hohen Grad an Realismus ein. Tag, Nacht und der Lauf der Zeit spielten eine Rolle; die Umgebung und die Szenerie waren bei Tag und bei Nacht unterschiedlich. Der Hauptcharakter musste regelmäßig essen, er wurde vom Laufen und Kämpfen müde und brauchte Ruhe und Schlaf.
Jeder Charakter, der ein beliebiges Spiel der Serie beendet, kann in ein neueres Spiel importiert werden, wobei die Statistiken des Charakters und Teile seines Inventars erhalten bleiben. Wenn der Charakter das Paladin-Schwert erhalten hat, behält er das magische Schwert. Einem Charakter, der aus einem anderen Spiel in ein späteres Spiel der Serie importiert wird, kann eine beliebige Charakterklasse zugewiesen werden, einschließlich Paladin.
Sierra war möglicherweise bei der Namensgebung nicht sonderlich kreativ, aber inhaltlich sehr innovativ.
Innovationen und weitere Erfolge
Zwischen dem dritten und dem vierten Teil von King’s Quest arbeitete Roberta an Mixed-Up Mother Goose, das 1987 veröffentlicht wurde. Da sie mittlerweile eine gewisse Berühmtheit erlangte, prangte auf der Packung ihr Name: „Roberta Williams‘ Mixed-Up Mother Goose“.
Es ist im Wesentlichen ein Edutainment-Titel (Bildungsunterhaltung), der sich speziell an junge Spieler richtet, sowie ein Abenteuerspiel. Die Handlung des Spiels ist sehr einfach, wie es bei Spielen für Kinder üblich ist. Eines Nachts wird ein Kind beim Zubettgehen in die traumhafte Welt von Mutter Gans geschickt, die dringend Hilfe braucht. Alle Kinderreime im Land sind durcheinandergeraten, und keiner der Bewohner besitzt die Gegenstände, die für die Existenz seines Reims notwendig sind. Und so muss das Kind unter anderem Humpty Dumpty helfen, eine Leiter zu finden, um auf eine Mauer zu klettern, das kleine Lamm zu Maria zurückzubringen und einen Eimer für Jack und Jill finden.
Das Spiel verkaufte sich mehr als 500.000 Mal, und die CD-ROM-Version (1991) wurde mit dem Software Publishers Association Excellence in Software Award für das beste Früherziehungsprogramm ausgezeichnet.
Maus und Musik
Die King’s Quest-Serie war nicht nur ein Spielplatz für neue Designs, sondern – im Sinne der Tradition – für technische Innovationen. Als King’s Quest IV: The Perils of Rosella 1988 veröffentlicht wurde, war es eines der ersten Spiele mit Soundkartenunterstützung und eines der ersten Abenteuerspiele, das eine Maus unterstützte. Es war auch eines der ersten Spiele mit einer weiblichen Hauptfigur, eine kreative Entscheidung, die Roberta Williams vorantrieb.
Einige ihrer Kollegen befürchteten, dass dies Männer davon abhalten könnte, das Spiel zu spielen aber es war kommerziell noch erfolgreicher als die Vorgänger. Eine Umfrage nach der Veröffentlichung ergab, dass es den meisten Männern nichts ausmachte, in der Rolle einer Frau zu spielen, während viele weibliche Spieler diese Erfahrung bevorzugten.
Studentin mit Spürnase
1989 veröffentlichte Williams ein weiteres Mystery-Adventure namens The Colonel’s Bequest, das die Ideen ihres ursprünglichen Mystery House-Spiels mit detaillierteren Grafiken und verbessertem Text-Parsing weiterführte.
Das Spiel war immer noch eine Seltenheit, weil es einen weiblichen Spielcharakter hatte, und wich von der traditionellen Formel eines Abenteuerspiels ab, um mehr ein interaktives Rätsel zu werden, das den Spieler stärker in die Pflicht nahm, die Handlung zu entdecken.
Wir übernehmen die Rolle von Laura Bow, einer Journalismus-Studentin, die von ihrer Freundin Lillian zu einem Wochenende auf die Plantage von Colonel Henri Dijon in Louisiana eingeladen wird. Dort versammelt der Colonel seine Familie und Freunde, um eine wichtige Ankündigung zu machen: Er plant, sein beträchtliches Vermögen unter den Anwesenden aufzuteilen. Während des Wochenendes geschehen mehrere Morde, und Laura muss Hinweise sammeln, um den Täter zu entlarven. Durch das Untersuchen von Geheimnissen und das Belauschen von Gesprächen deckt sie schließlich die Identität des Mörders und dessen Motiv auf.
Goodby Parser
Das 1990 veröffentlichte King’s Quest V: Absence Makes the Heart Go Yonder! war das erste Spiel, das eine iconbasierte Benutzeroberfläche verwendete, und setzte die Innovationen der Serie im Bereich des Spieldesigns fort. Das Spiel wurde von der Kritik gelobt und gewann bei seiner Veröffentlichung mehrere Preise. Computer Gaming World nahm es 1996 in die Liste der größten Spiele aller Zeiten auf.
Bei der CD-ROM-Version von 1992 wurde die Sprachausgabe hinzugefügt. Es wurde ein Voice-Sampling-Verfahren für die Sprachausgabe verwendet und viele Textboxen entfernt, damit das Spiel auf die CD passte. MP3 wurde zwar 1991 erfunden, setzte sich aber erst später durch.
Da es sich nicht um professionelle Sprecher, sondern um Mitgliedern des Sierra-Teams handelte – Roberta selbst übernahm vier Sprecherrollen – kam die Sprachausgabe bei vielen Spielern nicht sonderlich gut an und wurde stellenweise als sehr nervig empfunden.
Glaubenskrieg der Steuerung
Das, was wir heute unter Point-and-Click-Adventures verstehen, hat eine sehr lange Tradition und entsprang den Textadventures. In den rund fünfzig Jahren – also seit Colossal Cave Adventure – gab es immer wieder Neuerungen an der Art, wie solche Spiele gespielt werden. Sierra war oft Trendsetter, gingen aber nicht jede Entwicklung mit. So wurde etwa das Verbensystem, welches von LucasArts eingeführt wurde, nicht übernommen. Stattdessen sprang man von Texteingabe direkt zur Icon-Steuerung und änderte auch hier immer wieder die Anzahl der Symbole und die Art der Steuerung.
Dabei war jede Änderung auch ein Risiko. Einerseits wurde versucht, die Steuerung zu vereinfachen, damit die Spiele mehr Spieler erreichten. Auf der anderen Seite bestand immer die Gefahr, treue Fans zu vergraulen.
Obwohl die reine Texteingabe – etwa bei den ersten vier King’s Quest-Teilen – sehr altbacken wirkt, hat sie durchaus Vorteile. Festgelegte Verben oder Icons geben sehr genau vor, was der Spieler tun kann – und was nicht. Im Zweifelsfall kann der Spieler einfach alle denkbaren Kombinationen durchklicken, ohne ernsthaft nachdenken zu müssen. Das funktioniert bei Texteingaben nicht, auch wenn bei genauer Betrachtung zur Rätsellösung weniger Verben benötigt wurden als man annehmen sollte.
Kreativität durch Texteingabe
Die Texteingabe schafft auch Raum für Kreativität. So könnte der Spieler Befehle eingeben, die in anderen Varianten der Steuerung nicht existieren. Etwa JUMP. Das Spiel kann die Figur springen lassen, oder die Eingabe mit einem flotten Spruch quittieren. Bereits in King’s Quest I muss der Spieler an einer Stelle explizit DIVE eingeben, um nicht zu ertrinken. Auf dem Piratenschiff von King’s Quest III schafft man es ohne JUMP nicht auf die Kisten.
Ein anderes Beispiel sind Dialoge. In späteren Spielen fanden Dialoge entweder automatisch statt, oder man musste aus einer Auswahl vorgegebener Sätze wählen (sehr typisch für LucasArts-Spiele). Zur Zeit der Texteingabe musste man selbst darauf kommen, dass man nach Banditen, Monstern oder bestimmten Personen fragen könnte.
Natürlich lässt sich die Zeit nicht mehr zurückdrehen und Spiele mit reiner Texteingabe haben heutzutage kaum eine Chance auf kommerziellen Erfolg. Aber es gibt weiterhin Liebhaber solcher Spiele. Und rein textbasierte Spiele haben selbst heute noch den Vorteil, dass sie, technisch richtig umgesetzt, auch von Sehbehinderten gespielt werden können.
Motion Capture
King’s Quest VI: Heir Today, Gone Tomorrow wurde von Roberta Williams und Jane Jensen – einer Schriftstellerin und Spieledesignerin, die später für ihre Gabriel Knight-Spiele berühmt werden sollte – gemeinsam entwickelt. Die Arbeit begann im Mai 1991. Eine der Innovationen des Spiels bestand darin, eine emotional fesselnde Geschichte zu schaffen, die Spieler durch die Liebesgeschichte zwischen Prinz Alexander und Prinzessin Cassima ansprach. Die Entwicklung des Designs und der Geschichte dauerte etwa fünf Monate, wobei ein besonderes Augenmerk auf die emotionale Verbindung der Spieler zum Spiel gelegt wurde.
King’s Quest VI setzte auf fortschrittliche Techniken wie Motion Capture, um die Bewegungen von realen Schauspielern auf die über 2000 Charakteraktionen zu übertragen. Diese innovativen Techniken wurden von einem Team unter der Leitung von Michael Hutchinson in die Hintergrundbilder integriert, die von John Shroades erstellt wurden. Das Spiel profitierte auch von der Arbeit von Stanley Liu und Kronos Digital Entertainment, die ein 3D-animiertes Intro produzierten.
Die CD-ROM-Version von King’s Quest VI war u. a. für ihre musikalischen Beiträge bemerkenswert, insbesondere die Ballade „Girl in the Tower“, die von Mark Seibert und Jane Jensen komponiert wurde und als Liebesthema des Spiels diente. Sierra führte eine einzigartige Marketingkampagne durch, bei der sie die Ballade an Radiostationen schickte und Fans dazu aufforderte, diese anzufordern. Dies führte zu rechtlichen Drohungen von Radiostationen, die von den vielen Anfragen überfordert waren. Trotzdem trug diese Strategie dazu bei, das Spiel und seine Musik bekannt zu machen. Die CD-ROM-Version bot auch höher aufgelöste Charakterporträts.
Cartoon und Animationen
Bei der Entwicklung von King’s Quest VII: The Princeless Bride zielten die Entwickler darauf ab, den Effekt traditioneller Animationswerke von Walt Disney Pictures und Don Bluth zu erzielen. Um dies zu erreichen, enthält das Spiel mehr als fünfmal so viel Animation wie jedes andere Sierra-Spiel jener Zeit. Art Director Andy Hoyos nannte speziell die Intensität der Farben in Disneys Aladdin als Inspirationsquelle. Komponist Jay Usher betonte, dass die Art und Weise, wie ein Charakter sich bewegt und handelt, letztlich den Ausgang der Musik bestimmt. Jeder Charakter erhielt ein eigenes „Mini-Thema“, um ihre Einzigartigkeit musikalisch zu unterstreichen.
Die Hintergründe des Spiels wurden von Hand gezeichnet und dann gescannt. Die Spiel-Sprites wurden ebenfalls auf Papier gezeichnet, gescannt und anschließend digital bearbeitet und koloriert – ähnlich wie bei traditionellen Animationsfilmen der damaligen Zeit. Von den 70 Charakteren im Spiel sind einige realistischer und menschlicher dargestellt (wie die Protagonisten), während andere eher cartoonhaft gestaltet sind. Laut Chefanimator und Charakterdesigner Marc Hudgins war es das erste Mal, dass die Kunstabteilung auf externe Animationsstudios aus Russland und Kroatien zurückgreifen musste. Um die Optik möglichst perfekt zur Geltung zu bringen, verwendete es die damals neue SVGA-Grafik mit 800×600 Bildpunkten.
Die Königin der Geschichtenerzählung
Robertas Rolle umfasste die Konzeption, das Schreiben von Geschichten und das Design von Spielen. Sie entwickelte insgesamt acht Spiele in der „King’s Quest“-Reihe, die alle großen Erfolg hatten und die Adventure-Genre maßgeblich beeinflussten. Ihr letzter Titel zur Serie, King’s Quest: Mask of Eternity, wurde 1998 veröffentlicht. Leider war es ein hybrides Point-and-Click-Adventure und Action-Adventure – die Actionpassagen wurden ihr aufgezwungen. Es war das erste Spiel in der Serie, das eine vollständige 3D-Engine im Gegensatz zum 2D-Cartoon oder Pixel-Stil der früheren Spiele verwendet und das erste, das das Fortsetzungsnummerierungssystem auf der Verpackung und dem Titelbildschirm weglässt.
Roberta Williams ist eine wahre Pionierin im Bereich der Computerspiele, insbesondere in der Art und Weise, wie Geschichten in Spielen erzählt werden.
Ihre Spiele waren unter den ersten, die interaktive Geschichten erzählten, in denen die Spieler die Handlung durch ihre Entscheidungen und das Lösen von Rätseln aktiv beeinflussen konnten. Dies machte die Spiele nicht nur unterhaltsam, sondern auch zu einem persönlichen Erlebnis für jeden Spieler. Ein weiteres besonderes Merkmal war die Integration grafischer Elemente in Abenteuerspiele. Roberta Williams war eine der ersten Entwicklerinnen, die dies umsetzte, wodurch ihre Geschichten lebendiger und immersiver wurden als die zuvor dominierenden rein textbasierten Abenteuerspiele.
Die von ihr geschaffenen Welten waren detailreich und fantasievoll, was den Spielern half, vollständig in die Spielwelt einzutauchen. Diese liebevoll gestalteten Umgebungen trugen maßgeblich zur Atmosphäre der Spiele bei. Ein weiteres wichtiges Element war die enge Verflechtung von Storytelling und Gameplay. Die Handlung entwickelte sich durch das Lösen von Rätseln und das Interagieren mit der Spielwelt weiter, was zu einem nahtlosen und kohärenten Spielerlebnis führte.
Charaktere mit Tiefe
Die Charaktere waren oft vielschichtig und entwickelten sich im Verlauf der Geschichte weiter. Die Erzählstrukturen waren komplex, mit mehreren Handlungsebenen und überraschenden Wendungen. Viele ihrer Geschichten basierten auf klassischen Märchen und Mythen, die sie jedoch auf originelle Weise neu interpretierte. Dies verlieh ihren Spielen eine zeitlose Qualität.
Williams legte auch großen Wert auf benutzerfreundliche Schnittstellen, die es den Spielern ermöglichten, sich mehr auf die Geschichte und weniger auf die technischen Aspekte des Spiels zu konzentrieren. Das begann bei ihrem ersten Spiel Mystery House, in dem man bereits mit wenigen Befehlen auskam. Der Parser wurde später erweitert um flexibler zu sein, bis man letztlich ganz darauf verzichtete und mit wenigen Mausbefehle auskam, während die Konkurrenz noch mit anklickbaren Verben arbeitete.
Sie war bekannt dafür, jedes Detail ihrer Spiele sorgfältig zu planen um sicherzustellen, dass die Spieler ein unvergessliches Erlebnis hatten. Durch ihre Innovationen hat Roberta Williams nicht nur die Art und Weise, wie Geschichten in Spielen erzählt werden, revolutioniert, sondern auch den Weg für zukünftige Entwickler geebnet, die narrative Tiefe in interaktiven Medien anstreben.
Rätselkönigin
Der Kern ihrer Spiele ist – neben der Handlung – die Lösung von Rätseln. Dabei hatte sie oft tolle Ideen, aber nicht jede davon kam bei den Spielern gut an. Ein Beispiel ist der erste King’s Quest Teil: In der Originalversion musste der Spieler den Namen „Rumpelstilzchen“ (engl. Rumpelstiltskin) rückwärts buchstabieren, was aber nicht funktioniert. Man muss das Alphabet rückwärts aufschreiben, von Z bis A, und die entsprechenden Buchstaben im umgekehrten Alphabet verwenden, um den Namen zu finden. Die Lösung lautet „IFNKOVHGROGHPRM“, was nicht gerade naheliegend ist.
Die Verwandlung der Schlange
Ein besonders interessantes Rätsel in King’s Quest II ist das mit der Viper, die sich in das Pferd Pegasus verwandelt. Graham findet sich auf einem Hochplateau, das ihm durch eine giftige Viper versperrt wird. Die Lösung für dieses Problem erfordert eine gewisse Intuition und Kreativität: Graham wirft der Viper das Zaumzeug, das er zuvor aus der Wunderlampe erhalten hat, über den Kopf. Daraufhin verwandelt sich die böse Schlange in das Pferd Pegasus. Diese Verwandlung ist nicht nur überraschend und magisch, sondern zeigt auch die typische Verschmelzung von Mythologie und Fantasie, die in King’s Quest II allgegenwärtig ist. Pegasus schenkt Graham als Dankeschön einen magischen Zuckerwürfel, der ihm später weiterhilft.
Aus Zauberer wird Katze
In King’s Quest III dreht sich ein Rätsel um die Verwandlung des bösen Zauberers Manannan in eine Katze. Nachdem Gwydion alle benötigten Zauberutensilien gesammelt und die notwendigen Zauber vorbereitet hat, wird ein spezieller Katzenkeks hergestellt. Der Keks wird aus Mandragorawurzelpulver, Katzenhaaren und Fischöl gefertigt und zu einem Keks geformt. Wenn Manannan nach Essen verlangt, zerkrümelt Gwydion diesen Keks in eine Schüssel mit Brei und serviert ihn dem Zauberer. Sobald Manannan den verzauberten Brei isst, verwandelt er sich in eine Katze, wodurch Gwydion endlich frei ist von seiner tyrannischen Herrschaft und sicher seine Flucht aus dem Haus planen kann.
Hier servieren wir dem bösen Zauberer das mühsam zubereitete Essen, um ihn zu verwandeln
Ein Königreich für einen Frosch
In King’s Quest IV gibt es ein besonders originelles Rätsel rund um einen goldenen Ball und einer Krone. Unter einer Brücke findet Rosella einen goldenen Ball. Im Norden der Brücke gibt es einen Teich, in den sie den Ball wirft. Ein Frosch taucht auf und bringt den Ball zurück. Als sie den Frosch küsst, verwandelt er sich in einen Prinzen, der ihr als Dank eine Krone schenkt. Nach seiner Verwandlung nimmt Rosella den goldenen Ball wieder an sich. Später setzt sie die Krone auf, wodurch sie selbst in einen kleinen Frosch verwandelt wird, um sicher durch einen gefährlichen Wasserfall zu schwimmen.
Die Ziege und der Troll
Ein ebenfalls tolles Rätsel kommt im ersten King’s Quest vor. Wir müssen über eine Brücke, die von einem Troll bewacht wird. Mit normalen Mitteln kommen wir nicht an ihm vorbei. In der Nähe eines Bauernhofs finden wir eine Karotte. An einer anderen Stelle finden wir eine Ziege. Die Ziege locken wir mit der Karotte an und führen sie über mehrere Bildschirme hinweg zum Troll. Sobald die Ziege auf den Troll stößt, wird dieser von ihr beseitigt und wir können die Brücke überqueren.
Spiel des Todes
Typisch für Sierra-Spiele waren die zahlreichen Möglichkeiten zu sterben. Einerseits hatte dies einen gewissen Unterhaltungswert, andererseits konnte es auch sehr nerven, wenn man unerwartet starb und vergaß, zu speichern.
Insbesondere die Kombination aus notwendiger Suche nach Orten und Objekten und die Möglichkeit, dabei unzählige Tode zu erleiden, drückten den Spielspaß. Auf der einen Seite führte es dazu, dass sich die Gefahren wirklicher anfühlten, andererseits bestand ein großer Teil aus speichern, probieren, sterben und neu laden. Wie konsequent dieses Designelement beibehalten wurde, zeigt folgendes Beispiel:
In Wizard and the Princess musste man 1980 durch eine gefühlt endlose Wüste laufen. Die Bildschirme sahen alle fast identisch aus. Immer wieder tauchen größere Steine auf. Der Spieler braucht einen dieser Steine, aber unter allen Steinen außer einem sitzt jeweils ein Skorpion, der einen tötet, sobald man den Stein nehmen will.
Zehn Jahre später, in King’s Quest V, muss man erneut durch eine Wüste. Auch hier sehen die meisten Bildschirme nahezu identisch aus. Das Problem sind hier nicht Skorpione, sondern Wasser. Läuft man zu lange herum ohne eine Oase zu finden, stirbt man.
Die dunkle Seite von Sierra
Hinter den Kulissen herrschte bei Sierra On-Line nicht nur Sonnenschein. Ehemalige Mitarbeiter berichten in Interviews und persönlichen Erzählungen von langen Arbeitszeiten mit Überstunden und vergleichsweise geringen Löhnen. Das Arbeitsumfeld war stressig und von hohem Druck geprägt, da die Entwicklerteams oft enge Deadlines einhalten mussten. Der Management-Stil wurde als kontrollierend und unorganisiert beschrieben, mit Entscheidungen, die ohne ausreichende Einbeziehung der betroffenen Teams getroffen wurden.
Trotz des finanziellen Erfolgs vieler Spiele waren die Gehälter der Mitarbeiter oft nicht wettbewerbsfähig, und viele fühlten sich nicht ausreichend anerkannt oder belohnt. Dies führte zu hoher Fluktuation und Unzufriedenheit. Der Umzug von Oakhurst, Kalifornien, nach Bellevue, Washington, in den frühen 1990er Jahren brachte erhebliche Anpassungsschwierigkeiten mit sich, und einige Mitarbeiter entschieden sich, das Unternehmen zu verlassen, anstatt umzuziehen.
Es gab Fälle von schlechter Projektplanung und Missmanagement, die zu erheblichen Verzögerungen und budgetären Problemen führten, was zu weiteren Spannungen innerhalb des Unternehmens beitrug. Mit dem Aufkommen der CD-ROM-Spiele in den 1990er Jahren mussten einige Mitarbeiter an den Wochenenden als unbezahlte Schauspieler einspringen, oft ohne zu wissen, für welches Spiel die Aufnahmen waren. Dies erfuhren sie teilweise erst Jahre später durch Einträge in der IMDb.
Ausbeutung als Strategie
Die Firmenstrategie beinhaltete die Ausbeutung von Mitarbeitern. Sierra stellte überwiegend junge, unerfahrene Leute ein, die niedrig bezahlt und stark gefordert wurden. Der abgelegene Standort erschwerte es den Mitarbeitern, einen neuen Job zu finden. Die Gründung eines Betriebsrats wurde erfolgreich verhindert, und Ken Williams kommentierte dies Jahre später mit den Worten:
„Wir haben getan, was getan werden musste.“
Ein bekanntes Beispiel für unzufriedene Mitarbeiter findet sich ausgerechnet im Spiel Indiana Jones and the Fate of Atlantis (1992) von LucasArts. Am Ende des Abenteuers gibt es eine Animation, in der sich der Antagonist in ein Geistwesen verwandelt und verpufft. In dieser Sequenz bewegen sich die Lippen des Wesens, aber es wird nichts gesprochen und es gibt keinen Untertitel. Jahrelang wurde gerätselt, was der Geist gesagt haben soll. Bill Eaken, der Urheber dieser Animation, klärte dies in einem Interview auf. Es bedeutet: „FUCK SIERRA!“ Im Interview sagt Eaken u. a.:
„Über meine Zeit bei Sierra habe ich allerdings nicht viel Gutes zu sagen. Ich habe nur elf Monate dort gearbeitet und habe jede Sekunde davon gehasst. Wenn Ihre Leser gerne ab und zu etwas Schmutz hören möchten, lassen Sie mich einfach sagen, dass Sierra On-line das ist, was ich als ‚dysfunktionale‘ Organisation bezeichnet habe.“
Selbst in den Sierra-Spielen finden sich Anspielungen auf die schlechten Arbeitsbedingungen, wie etwa in Space Quest III oder Quest for Glory II.
Spätere Werke
Roberta Williams war insgesamt an der Entwicklung von neununddreißig Spielen beteiligt, von denen die meisten ein großer kommerzieller Erfolg waren. Darunter waren auch Titel wie das faszinierende Laura Bow in The Dagger of Amon Ra (1992) und Phantasmagoria (1995), welches sie als ihr bestes Spiel bezeichnete.
Phantasmagoria war ein Horror-Adventure-Spiel. Es war eines der ersten Spiele, das nur auf CD-ROM veröffentlicht wurde und durch die Verwendung von Full-Motion-Video (FMV) mit realen Schauspielern in einer interaktiven Umgebung hervortrat. Es erzählt die Geschichte von Adrienne Delaney, einer Schriftstellerin, die mit ihrem Ehemann Don ein altes Herrenhaus in Neuengland kauft. Kurz nach dem Einzug beginnen unheimliche und übernatürliche Ereignisse, die Adrienne dazu bringen, das düstere Geheimnis des Hauses und seines früheren Besitzers, einem berüchtigten Magier namens Zoltan Carnovasch, zu ergründen. Die Handlung entwickelt sich zu einem klassischen Horror-Mystery.
Der Vorspann von Phantasmagoria zeigt bereits Stil und Atmosphäre des Spiels
Das Spiel war technisch sehr anspruchsvoll für seine Zeit. Es verwendete Full-Motion-Video-Technologie und digitale Effekte, um die Schauspieler in die computergenerierten Umgebungen zu integrieren. Dies verlieh dem Abenteuer eine filmische Qualität, die damals innovativ und wegweisend war. Insgesamt wurden über zwei Gigabyte an Daten verwendet, was für die damalige Zeit enorm war. Das Spiel belegte sieben CD-ROMs. Das Budget wurde auf 800.000 Dollar festgelegt, nach rund zweijähriger Produktion kostete es aber 4,5 Millionen Dollar. Nach einem Jahr der Veröffentlichung verkaufte sich das Spiel eine Million Mal und galt als großer kommerzieller Erfolg.
Gewalt in Spielen
Phantasmagoria erstreckt sich über sieben Kapitel, wobei die Spannung und die Bedrohung im Laufe der Zeit zunehmen. Es war wegen seiner grafischen Darstellungen von Gewalt, insbesondere einer Vergewaltigungsszene und mehreren grausamen Todesfällen, sehr umstritten. Diese Inhalte führten zu Debatten über die Grenzen des Mediums Computerspiel und darüber, was als akzeptabel in Videospielen angesehen werden sollte. Das Spiel wurde in einigen Ländern zensiert oder verboten.
Mit Shivers erschien, ebenfalls 1995, ein weiteres Horror-Spiel. Als erstes First-Person-Adventure von Sierra wurde Shivers mit den zeitgenössischen Spielen Myst und The 7th Guest verglichen und vor allem für seine Atmosphäre gelobt. Das Spiel findet in einem fiktiven Spukmuseum statt. Roberta Williams diente hier lediglich als kreative Beraterin.
Rückzug und Vermächtnis
Im Februar 1996 erwarb CUC International Sierra On-Line Inc. für 1,06 Milliarden Dollar in Aktien, um seine Aktivitäten im Bereich interaktive Unterhaltung auszubauen. Diese Übernahmen ermöglichten es CUC, sein Vertriebsnetz zu optimieren und durch Produktplatzierungen und Werbung in den Softwareprodukten neue Kundengruppen zu erreichen.
Roberta hatte sich zunächst gegen das Geschäft gewehrt. Sie willigte schließlich ein, da sie erkannte, dass die Bedingungen des Geschäfts zu günstig waren, um sie abzulehnen, und dass sie von den Aktionären verklagt werden könnte, wenn sie es versäumte, deren Wert zu maximieren.
Fusionierungen
Im Dezember 1997 fusionierte CUC mit HFS Incorporated und benannte sich in Cendant um. Nach der Fusion spezialisierte sich Cendant auf Hotel-Franchises, Autovermietungen, Reisebüros und die Verbrauchersoftware-Sparte Cendant Software. Aufgrund eines fast monopolistischen Marktanteils im Bereich Timeshare-Austauschdienste verpflichtete die Federal Trade Commission die Unternehmen zur Veräußerung eines ihrer Timeshare-Austauschunternehmen. 1998 wurde Cendant Software, bestehend aus Sierra, Davidson & Associates (inklusive Blizzard Entertainment), Knowledge Adventure und Gryphon Software, an den französischen Verlag Havas verkauft, der später mit Vivendi und dann mit Activision fusionierte.
Nach einem Buchhaltungsskandal wurde die ursprüngliche Comp-U-Card-Division von verbleibenden Führungskräften aufgekauft und in Trilegiant reorganisiert, später in Affinion Group umbenannt und weiterhin in Stamford, Connecticut, ansässig. Am 23. Oktober 2005 kündigte die Cendant Corporation ihre Aufteilung in vier separate Unternehmen an: Realogy, Travelport, Wyndham Worldwide und Avis Budget Group. Von Sierra blieb zu dieser Zeit nichts mehr übrig.
Das Management und die Entscheidungsfindung des Unternehmens änderten sich unter CUC dramatisch, was Ken Williams dazu veranlasste, Sierra zu verlassen und direkt für die neue Muttergesellschaft zu arbeiten. Die Umstrukturierung von CUC führte auch zu massiven Entlassungen. Der Niedergang von Sierra hatte emotionale Auswirkungen auf Roberta, die das Unternehmen 1999 verließ.
Ein wesentliches Problem mit dem Management brachte Ken einige Jahre später mit folgenden Worten auf den Punkt:
„Indem alle Projekte außer den Hits eingestellt und dann die Designer, die die Hits geschaffen hatten, vergrault wurden, blieb Sierra mit nichts zurück.“
Entwicklungsverbot
Aufgrund des Vertrags mit CUS durften die Williamses fünf Jahre keine Spiele entwickeln. In den folgenden Jahren hielt sich Roberta von der Öffentlichkeit fern und sprach selten mit der Presse. Stattdessen erlebte sie mit Ken selbst Abenteuer, indem sie um die Welt segelten. Außerdem veröffentlichte sie 2021 einen historischen Roman mit dem Titel Farewell to Tara.
Obwohl sie sich aus der Spieleindustrie zurückgezogen hatte, bleibt Roberta Williams‘ Einfluss auf die Branche ungebrochen. Ihre Arbeit hat Generationen von Spielern und Spielentwicklern inspiriert und die Grundlagen für viele moderne Spiele gelegt. Sie war auch eine Inspirationsquelle für die Figur der Cameron Howe in der AMC-Fernsehserie Halt and Catch Fire (2014–2017).
Im Jahr 2011 berichtete die Videospiel-Website Gamezebo, dass sie aus ihrer Auszeit als Designberaterin für das soziale Netzwerkspiel Odd Manor für Facebook zurückgekehrt war. 2012 hatte Replay Games die Sierra-Veteranen Al Lowe und Paul Trowe angeworben, um zur Abenteuerspielserie Leisure Suit Larry zurückzukehren, was Trowe dazu veranlasste, zu versuchen, die Williamses zur Rückkehr in die Spieleindustrie zu überreden. Activision beauftragte Telltale Games mit der Entwicklung eines neuen Teils der King’s-Quest-Serie. Williams lehnte es ab, an dem Spiel mitzuarbeiten, bot aber einige Ratschläge an. Das Spiel wurde 2013 eingestellt.
Zurück zu den Wurzeln
Activision versuchte 2014, die Marke Sierra wiederzubeleben, was den Entwickler The Odd Gentlemen dazu brachte, King’s Quest: A Knight to Remember zu entwickeln. Nach Angaben des Studios haben sie sich mit Roberta Williams beraten, um ein Spiel so zu entwickeln, wie sie es machen würde.
Roberta und Ken kündigten Pläne an, im Juni 2021 in Zusammenarbeit mit dem Künstler Marcus Maximus Mera wieder in die Spieleentwicklung einzusteigen. In einem Interview im selben Jahr äußerte sie sich zurückhaltend, ob ein erfahrener Spieldesigner nach einer längeren Pause erfolgreich in die Branche zurückkehren könne, da es durchaus Vorteile habe, die eigene Karriere auf dem Höhepunkt zu beenden. 2022 gab das Team bekannt, dass ihr neues Studio Cygnus Entertainment ein Remake von Colossal Cave Adventure mit dem Titel Colossal Cave 3D Adventure (oder kurz Colossal Cave) entwickelt.
Roberta erklärte, dass dieses bahnbrechende Spiel aus den 1970er Jahren ihre Karriere inspiriert hatte und sie sich darauf freute, es als interaktives 3D-Erlebnis neu zu gestalten. Das Spiel wurde am 19. Januar 2023 für Windows, macOS, Linux, Nintendo Switch, PlayStation 5, Xbox Series X und Meta Quest 2 veröffentlicht. Die VR-Version lässt den Spieler noch tiefer in die Höhlen eintauchen. Roberta war es sehr wichtig, so viel wie möglich vom Original zu erhalten:
„Unsere Herausforderung bestand darin, die Seele des Originalspiels zu bewahren, sie aber in moderne Technologie zu übertragen.“
Colossal Cave Adventure war Robertas erstes Computerspiel, das sie spielte. Ihre Neuinterpretation sollte eine tiefe Verneigung vor dem Original sein. Sie ist der Meinung, dass es ohne dieses Spiel Sierra nie gegeben hätte.
Robertas Lebenswerk
Die Rolle von Roberta Williams für die Spieleindustrie wird heute noch stark unterschätzt. Sie wurde oft mit Kritik konfrontiert – vor allem von anderen Gamedesignern. Diese behaupteten gerne, Roberta würde eigentlich nichts können.
Fakt ist aber, dass nahezu alle ihre Spiele kommerziell sehr erfolgreich waren. Sie hob das Genre moderner Abenteuerspiele aus der Taufe. Alle Adventure von LucasArts und alle anderen Titel stehen auf ihren Schultern. Und ganz nebenbei führte sie weibliche Helden ein, obwohl ihr viele Leute sagten, dass diese Spiele scheitern würden. Das Gegenteil war der Fall.
Nur eine Märchentante?
Roberta Williams wurde oft als „Märchentante“ klein geredet. In Anbetracht der King’s Quest-Serie kann man dies ein bisschen verstehen. Aber Roberta probierte sich auch in anderen Bereichen aus. Kinderspiele, Krimis und Horror. Dabei lieferte sie immer wieder ab, passte Anspruch und Inhalt sowie Erzählweise an die jeweilige Zielgruppe und den Zeitgeist an.
Bewundernswert ist auch, dass sie über vierzig Jahre Spiele entwickelte, auch wenn dazwischen eine große Pause lag. Sie prägte und begleitete ganze Ären der Spieleindustrie. Angefangen von grafischen Adventuren auf dem Apple II, die EGA-Zeit und später VGA-Spiele unter MS-DOS, die Zeit von Videos und CD-ROM, Cartoons, 3D-Engines bis hin zu Colossal Cave mit der Unity-Engine. Ihr gelang es dabei nicht nur, sich anzupassen, sondern über einen langen Zeitraum Maßstäbe zu setzen.
Sierra – als eine der größten Spielemarken überhaupt – baute sie zwar mit ihrem Mann gemeinsam auf, aber sie war für die Richtung maßgeblich. Ohne Roberta hätte Ken weiterhin langweilige Anwendungen geschrieben. Durch ihre Kreativität und Fleiß verbrachten Millionen Menschen tausende glückliche Stunden in virtuellen Abenteuern, auch wenn nicht alle davon aus ihrer Feder stammen.
Ein indisches Sprichwort sagt sinngemäß:
„Die erste Kerze zündet andere Kerzen an, die genauso hell leuchten. Doch selbst wenn tausend Kerzen leuchten, wird sie dennoch die Erste bleiben.“
In vielen Bereichen war Roberta Williams diese erste Kerze.
Überblick King’s Quest I-VIII
Titel | Jahr | Grafikstil | Wertungen [1] | Player Reviews [2] |
King’s Quest I: Quest for the Crown | 1984 | EGA Pixel | 68/100 | 3,5/5 |
King’s Quest II: Romancing the Throne | 1985 | EGA Pixel | 91/100 | 3,8/5 |
King’s Quest III: To Heir Is Human | 1986 | EGA Pixel | 75/100 | 3,7/5 |
King’s Quest IV: The Perils of Rosella | 1988 | EGA Pixel | 77/100 | 3,9/5 |
King’s Quest V: Absence Makes the Heart Go Yonder! | 1990 | VGA Pixel | 78/100 | 3,8/5 |
King’s Quest VI: Heir Today, Gone Tomorrow | 1992 | VGA Pixel | 83/100 | 4,0/5 |
King’s Quest VII: The Princeless Bride | 1994 | SVGA Cartoon | 79/100 | 3,5/5 |
King’s Quest: Mask of Eternity | 1998 | 3D | 78/100 | 3,3/5 |
[1] = Durchschnittwertungen der Presse aller Systeme auf mobygames.com, stand Juni 2024
[2] = Durchschnittswertungen aller Spieler-Reviews auf mobygames.com, stand Juni 2024
Anmerkung: Die Durchschnittswerte der Presse beinhalten Werte seit der Veröffentlichung bis 2024. Je nach System und Testjahr wurden einige Teile im Nachhinein vergleichsweise schlecht bewertet. Die Wertungen spiegeln also nicht die Beurteilung zum jeweiligen Veröffentlichungszeitraum wieder.
Weiterführende Links
Die Meister des Spieluniversums: 10 legendäre Game Designer
Legenden – John Carmack
Die Geschichte der Adventure Teil 1 – Im Anfang war das Wort
Geschichten richtig erzählen
Warum Retro?
Externe Links
Sierra Games
Kens Blog
Interview mit Bill Eaken
Alle Credits von Roberta Williams bei Moby Games
Sehr beeindruckender Artikel, schon fast ein Buch. Viele Dinge wusste ich noch nicht. Meine Freunde waren damals eher Lucas-Fans, ich hielt aber die Sierra Spiele für besser. Von der KQ-Reihe kann ich 4 bis 6 sehr empfehlen. KQ3 ist extrem schwer, 1 und 2 zu flach und den Grafikstil von 7 muss man mögen. Über KQ8 legen wir den Mantel des Schweigens. 🙂