Midjourney, ChatGPT und Co. haben in den vergangenen Monaten für viel Aufsehen gesorgt – sowohl im positiven als auch negativen Sinne. Gleichzeitig hat Generative AI auch das Interesse der Videospielbranche auf sich gezogen. Im ersten Teil der 2-teiligen Artikelserie zum Thema KI in der Games-Entwicklung stellt Jake Hawley, Chief Gaming Officer bei Endava, einige Herausforderungen der Entwicklerstudios vor und die verschiedenen Chancen, die Generative AI diesbezüglich bietet.
Non-Playable Characters (NPCs), die die Spielwelt beleben, die Spieler begleiten oder die es zu bezwingen gilt, sollen den Anschein eines intelligenten Gegenübers erwecken. Der Unterschied zur Idee einer „echten“ Künstlichen Intelligenz (KI): NPCs simulieren menschenähnliches Verhalten, indem sie einem von Entwicklern gescripteten Pfad und vordefinierten Parametern folgen. Sie lernen nicht selbst dazu. Diese Sichtweise ändert sich allerdings, da Generative AI bereits heute NPC-Interaktionen verbessert und ihr Potenzial als unterstützendes Werkzeug bei der Spieleentwicklung demonstriert.
Zwischen Pong und Red Dead Redemption 2 hat die Technologie in dieser Hinsicht enorme Fortschritte gemacht. Eigenständiges Handeln und Selbstbestimmung haben NPCs allerdings noch nicht erlangt. Das könnte sich nun schneller ändern als gedacht, denn mit Generative AI hat ein neuer Spieler das Feld betreten.
Generative AI rückt immer mehr ins Rampenlicht
Als eine Form von Machine Learning (ML) greift eine Generative-AI-Applikation auf eine Bandbreite von Trainingsdaten zu, die sich unter anderem aus verschiedensten Texten, Bildern oder Audiodateien zusammensetzen. Auf Grundlage dieser Informationen generiert die Anwendung neue Inhalte. Dafür bedarf es einer zusätzlichen Text-, Sprach- oder Bildeingabe (Prompt), mit der der Nutzer dem System bestimmte Umsetzungsanweisungen gibt. Die Anwendung ist jedoch von anhaltenden Diskussionen über Themen wie geistiges Eigentum und der Notwendigkeit, den rechtlichen Rahmen klar auszugestalten und umzusetzen, umgeben.
Neben ChatGPT, Dall-E, Midjourney und Stable Diffusion sind mittlerweile zahlreiche weitere Generative-AI-Anwendungen aus dem Boden gesprossen, die auf derselben Technologie aufbauen und sie auch in andere Entertainment-Branchen tragen. Musik oder animierte Videos lassen sich zum Beispiel ebenfalls auf diese Weise im Handumdrehen erzeugen. In der Spieleindustrie nutzen große Studios diese Tools bereits, um Kreativität und Produktivität zu steigern.
Games zu produzieren ist nicht zuletzt wegen der riesigen Menge an Code und audiovisuellen Assets eine sehr komplexe Angelegenheit. Im Vergleich zu Spielen von vor drei Jahrzehnten beansprucht die Entwicklung heute viel mehr Zeit, Geld und Expertise.
Spielentwicklung braucht Zeit und Zeit ist bekanntlich Geld
Red Dead Redemption 2 verschlang bei einer Produktionszeit von acht Jahren schätzungsweise zwischen 170 und 240 Millionen US-Dollar. CD Projekt Red kündigte Cyberpunk 2077 erstmals im Jahr 2012 an und releaste das Sci-Fi-Open-World-RPG nach mehrmaligem Verschieben im Dezember 2020. Kostenpunkt: 174 Millionen US-Dollar – ohne Marketing. Der heiß erwartete Nachfolger von Grand Theft Auto V befindet sich Berichten zufolge seit 2014 in Rockstars Pipeline. Wenn man davon ausgeht, dass der sechste Teil noch größer und komplexer sein wird als sein Vorgänger, dann dürfte er dessen geschätzte Produktionsausgaben von etwa 137 Millionen US-Dollar weit übersteigen und sogar Gesamtkosten von über einer Milliarde erreichen. Diese Zahl scheint für einige AAA-Produktionen bereits heute durchaus realistisch.
Dass Entwicklern und Designern dabei nicht nur die Puste ausgeht, sondern die Produktionsrealität sie auch davon abhält, rund um die Uhr motiviert Content zu liefern, überrascht wohl niemanden. Außerdem kann fehlende Abwechslung zu Ermüdung führen, die die Kreativität und Innovationskraft ebenfalls hemmt. Besonders im Kontext von Live-Service-Spielen wie Destiny 2, Rocket League, Final Fantasy XIV oder Fortnite wird den Teams kontinuierlich eine Menge Kreativität abverlangt. Schließlich soll sich das Spielgeschehen nicht wie ein repetitiver Loop anfühlen – andernfalls springen die Spieler ab. Und auch künftige Releases von Singleplayer-Spielen sollen sich nicht wie ein in der Mikrowelle aufgewärmter Kaffee anfühlen. Innovativer, vielfältiger und größer muss es sein und immer mehr Content ist gefragt. Das setzt die Teams unter enormen Druck.
Mehr Ressourcen für Development-Teams
Die Erwartungen der Spieler steigen also kontinuierlich. Hinzu kommt, dass Studios weltweit – auch hierzulande – mit dem Fachkräftemangel kämpfen. Vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen in der Gaming-Welt, steigt der Bedarf an Lösungen deutlich, die Development-Teams in ihrer Arbeit unterstützen und Kapazitäten ausbauen. Generative-AI-Anwendungen können Produktionsabläufe an bestimmten Punkten effizienter machen, während sich Entwickler auf komplexe, wertschöpfende Arbeit konzentrieren. Bei gleichbleibendem Output würde die Qualität der Ergebnisse steigen. Gleichzeitig sparen Studios wertvolle Zeit und Geld.
Folglich stehen den Teams mehr Ressourcen für kreatives und innovatives Schaffen zur Verfügung. Aus allen erzeugten Assets ließen sich wiederum eigene Bibliotheken aufbauen. Mit den gesammelten Daten könnten Studios ihre eigenen Modelle trainieren, die zusätzliche Assets im gleichen Stil erzeugen. Diese können dann in Folgeprojekten verwendet werden, um mit weniger Aufwand größere und vielfältigere Welten zu schaffen. Dies ist besonders attraktiv, da es sowohl großen, etablierten Studios als auch kleineren Studios mit weniger Experten und Ressourcen ermöglicht, qualitativ hochwertige Spiele effizienter zu produzieren. Von der Idee über die Content-Entwicklung bis hin zum Marketing: Beinahe in jedem Bereich entlang der Produktions-Pipeline ist der Einsatz von Generative AI denkbar.
Ausblick
Auch wenn der Hype um KI und Generative AI gefühlt nachlässt, hat sich die Technologie in der Geschäftswelt mittlerweile ein gemütliches, dauerhaftes Nest gebaut. Sie wird definitiv ein fester Teil unserer digitalen Zukunft bleiben und die Wege zu noch höherer Produktivität grundlegend revolutionieren.
Auch die Gaming-Branche kann den wirtschaftlichen Mehrwert von Generative AI nicht mehr ignorieren. Sie hilft Studios nicht nur dabei, Geld und wertvolle Zeit zu sparen, sondern entlastet auch Entwickler und Designer direkt in ihrer täglichen Arbeit und hilft ihrer Produktivität auf die Sprünge, ohne sie in ihrer Kreativität einzuschränken. Es ist aber wichtig zu betonen, dass Generative AI die Kreativität menschlicher Künstler und Designer ergänzt und nicht ersetzt und somit eine Kultur der Koexistenz von Mensch, Talent und Technologie fördert. Das Potenzial dahinter wird möglicherweise alle heutigen Erwartungen übersteigen.
Doch wie sieht die aktuelle Erwartungshaltung aus? Was bedeutet diese technologische Revolution für Entwickler im Detail? In welchen Bereichen lässt sich KI bereits heute konkret unterstützend einbringen? Dies und mehr verrät Jake Hawley im nächsten Teil der Artikelserie zum Thema KI in der Games-Entwicklung.
Weiterführende Links
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