Spätestens seit der Netflix-Serie „Das Damengambit“ 2020 erlebt Schach einen Boom. Zahlreiche Online-Plattformen wurden regelrecht von neuen und ehemaligen Spielern überrannt. Als Grandmaster Chess vor dreißig Jahren das Licht der Welt erblickte, ahnte kaum jemand etwas von den heutigen Möglichkeiten.
Aufregende Zeiten
2022 ist für Schachspieler eine tolle Zeit. Kaum war das königliche Spiel je so beliebt. Zwar ist es, verglichen mit den 1980er Jahren, im klassischen TV nicht mehr so präsent, dafür aber umso mehr online. Von Online-Plattformen über mal mehr, mal weniger großartigen Programmen bis hin zu verschiedenen Datenbanken und Lernmöglichkeiten gibt es nahezu alles, was das Schachherz begehrt. Nur an der Weltspitze tut sich nicht viel, aber das war auch schon 1992 so.
Seit 2013 ist Magnus Carlsen Schachweltmeister und dominiert den Schachsport. 1992 war das Garri Kasparow, dessen Regentschaft von 1985 bis 2000 ging. Doch auch damals gab es genug Aufregung. Bobby Fischer spielte 20 Jahre nach seinem Titel erneut gegen Spasski und es war die Zeit, als Schachcomputer und Programme richtig gut wurden.
Ich selbst hatte damals einen kleinen Mephisto-Schachcomputer, am PC spielte ich ab und zu Battle Chess, aber ernsthafte Spiele betrieb ich damit nicht. Grandmaster Chess besaß ich leider nicht, aber als ich es kürzlich auf GOG entdeckte, wünschte ich mir, ich hätte es gehabt.
Ausgangslage
Als Grandmaster Chess erschien, gab es schon ein paar ziemlich starke Programme, allen voran die Chessmaster-Serie. Deshalb mussten Entwickler IntraCorp neben der Spielstärke einiges tun, um sich aus der Masse abzuheben, wobei es selbst bei der Spielstärke nur bedingt punkten konnte.
Es enthält eine Vielzahl von anpassbaren Einstellungen, einschließlich 3D- und 2D-Bretter, fünf Schwierigkeitsstufen, eine einfach zu bedienende, menügesteuerte, mausorientierte Oberfläche und schöne Grafiken. Hinzu kommt eine berauschende Sprachausgabe und – bei der CD-ROM-Version (1993) – eine Bibliothek mit fast 12.000 Stellungen aus mehr als 4.000 Eröffnungsvarianten und eine Option, auch eigene Eröffnungsstellungen hinzuzufügen.
Aus heutiger Sicht ist die Anzahl der Stellungen ein Witz, damals war sie durchaus gut. Was ehemals kritisiert wurde, sind die Analysefunktionen. Diese sind mit heutigen Tools nicht zu vergleichen, hielten aber auch damals schon ernsthafte Schachspieler vom Kauf ab.
So war Grandmaster Chess zwar ein durchaus interessantes Produkt, aber weder Fisch noch Fleisch. Grafisch war die Battle Chess Serie, aber auch andere Produkte, hübscher. Für Vereinsspieler hingegen waren andere Programme interessanter. Die KI soll laut Wikipedia zwar aus ihren Fehlern lernen, dies konnte ich bei den Tests aber nicht feststellen.
Künstliche Intelligenz
Die fünf Schwierigkeitsgrade sind:
- BEGINNER
- NOVICE
- INTERMEDIATE
- EXPERT
- GRANDMASTER
Die erste Stufe hält, was die Bezeichnung verspricht. Wer erst die Regeln gelernt hat, ist hier gut aufgehoben. Man kann zwar zu jeder Spielstufe noch einen Style zwischen ausgeglichen, aktiv und passiv auswählen, eine große Auswirkung hat dies aber nicht. Auf der Stufe für Anfänger macht die KI zahlreiche Fehler und agiert, als hätte sie von Eröffnungstheorie gar keine Ahnung.
Auf der zweiten Stufe ist sie kaum stärker. Bei meiner ersten Partie machte sie den ersten Fehler bereits im dritten Zug, nach fünf Zügen stand die KI komplett auf Verlust. Das Matt erfolgte nach 21 Zügen.
Interessant ist, dass die Analyse die Stellung live bewertet und sich an den heutigen Centipawn-Werten orientiert.
Im zweiten Spiel dauerte es 26 Züge. Statt mit c4 begann ich mit e4, worauf mir die KI die russische Eröffnung anbot und sogleich in eine der zahlreichen Fallen tappte. Erneut nach dem fünften Zug stand ich klar auf Gewinn.
Was mich faszinierte: ab einem gewissen Punkt der Niederlage bemüht sich die KI nicht einmal mehr, das Blatt zu wenden. Sie macht nur noch sinnlose Züge und bietet dem Spieler an, aufzugeben. Wenn sie wenige Züge vor dem Matt steht, versucht sie nicht, dies so lange wie möglich hinauszuzögern. Aus einem Matt in fünf werden dann schnell nur drei Züge. Also zur nächsten Stufe.
INTERMEDIATE war eine interessante Erfahrung und ist eine Spielstufe, mit der ich mich gut anfreunden kann. Die erste Partie war zwar nach 43 Zügen gewonnen, doch bis dahin gab mir die KI einige Nüsse zu knacken. Nach drei Zügen fanden wir uns in einem Vierspringerspiel wieder, im achten Zug wurden beide Damen abgetauscht. Gravierende Fehler traten quasi nicht auf. Das Hauptaugenmerk lag auf Abtausch und/oder Verbesserung der Stellung, bis im Endspiel die KI keine Chance mehr hatte. Die Probleme der KI waren also eher positioneller Natur, was sich auch in späteren Spielen bestätigte.
Ist es ein Großmeister?
Das Problem damaliger Programme war, dass die Namen große Erwartungen weckten und dann etwas enttäuschten. Bei Fritz war es übrigens umgekehrt. Es stellte sich die Frage, ob Grandmaster Chess wirklich auf dem Niveau eines Großmeisters spielt. Das wäre eine Spielstärke von über 2500 Elo, also weit über meinem Niveau.
Um es zu testen, experimentierte ich mit Stockfish-Stufen um zu sehen, wo sich Remis einstellen. Nach einigen Tests landete ich irgendwo zwischen 2100 und 2200 Elo. Das ist eine Stärke von „Meisteranwärter“ bzw. „FIDE-Meister der Frauen (WFM)“. „Großmeister der Frauen (WGM)“ liegt über 2300 Elo, bei den Männern, wie erwähnt, 2500.
Die Erwartungen werden zwar bei weitem nicht erfüllt, was m. M. n. eine solide Stellungsanalyse ausschließt, dennoch ist die KI gut genug, um gute Vereinsspieler zu fordern. Allerdings hat sie, wie fast alle KIs, Stärken in der Taktik und große Schwächen in der positionellen Beurteilung.
Der heutige Reiz
Es gibt einige gute Gründe, warum man heute noch ein altes Schachprogramm verwenden sollte. Eine gute KI ist nicht alles. Der KI-Markt wird von Stockfish, Lc0 und Komodo Dragon dominiert. Die sind so gut, dass selbst ein Weltmeister keine Chance mehr hat, wenn die KI voll aufdreht. Doch drosselt man die KI, spielen sie unmenschlich, sehr seltsam und wirklich Spaß macht das auch nicht. Da ist es erfrischend, gegen eine alte KI zu spielen, die interessante Züge auf das Brett bringt. Zwar bietet Grandmaster Chess kein Blitzschach oder überhaupt eine Uhr, macht aber durchaus Freude.
Interessant ist der Kompromiss aus Retrografik und „verursacht keinen Augenkrebs“. Die Sprachausgabe ist manchmal nervig, vor allem das „Bad mooooove!“, was das Spiel auch bei perfekten Stockfish-Zügen häufig von sich gab. Wer aber schachlich in die frühen 1990er Jahre eintauchen möchte, ist hier genau richtig. Lacher erzeugten bei mir manche Figuren-Sets. „Wirklich? Habt ihr das ernst gemeint?“