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Protovision erstellt und vertreibt neu erstellte Spiele für den Commodore 64. Ich habe Jakob Voos, Protovision Development Team und Chester Kollschen, Game Designer bei Knights of Bytes, zu ihren neuesten Produkten befragt. Knights of Bytes vertreibt den Plattformer Sam’s Journey über Protovision. Jakob Voos (Jak) beantwortete mir meine ersten Fragen – die Frage zu Sam’s Journey beantwortete Chester Kollschen (Chester).

Bytegame: Hallo Jak, Hallo Chester.
Jak, du arbeitest im PROTOVISION Development Team und Chester ist Game Designer bei Knights of Bytes. Ihr erstellt heute noch Spiele für den C64er – wie zum Beispiel das Echtzeitstrategie-Spiel Planet X2.1 oder der Plattformer Sam’s Journey, auf welches wir gleich noch zu sprechen kommen. Inwieweit unterscheidet sich die Spiele-Entwicklung in den 80er Jahren von der Entwicklung aktueller Titel für den C64er?

Protovision: Hi Harald! Der erste große Unterschied liegt darin, dass es heute ein Hobby ist. Wir sind ein Zusammenschluss von Enthusiasten. Das klingt toll, ist aber sehr schwer zu managen, weil im Grunde jeder macht was er will und es nur bedingt Vorgaben von oben geben kann. Aber ich nehme an, die Frage zielt mehr in Richtung Technik. Die C64-Gemeinde hat seit 1982 (der Geburtsstunde des C64) stetig dazugelernt. Das ist ja das tolle am C64: die Basishardware bleibt immer gleich, aber wie wir damit umgehen, ändert sich.

Screenshot Titlebild Sams Journey
Screens vom C64 sind naturgemäß in kleiner Auflösung. Der Titelscreen von Sam’s Journey zeigt sich farbenfroh.

Es wurden in den letzten Jahrzehnten immer wieder neue bahnbrechende Tricks und Techniken erfunden, um noch mehr aus der Kiste herauszukitzeln. Bis heute gibt es immer wieder verblüffende Neuerungen, und die Erkenntnisse daraus fließen dann in die nächsten Releases. Diese Neuerungen betreffen sowohl Programmiertechniken, die sich seit 1982 stark verändert haben, als auch die Tools, mit denen wir arbeiten. Heute schreibt kaum noch jemand Software direkt am C64. Wir haben moderne Tools auf PCs, Macs oder einem zweiten C64, mit denen wir Grafiken konvertieren, Daten packen und alles automatisiert zusammenfügen. Unsere Endprodukte laufen dann aber wieder mit der Hardware von 1982. Diese verbraucht in etwa so viel Strom wie drei Glühbirnen. Allein schon um dem Klimawandel entgegenzuwirken, sollen wir also öfter am C64 spielen.

Screen des Spiels Galencia auf dem C64
Galencia ist die Umsetzung eines klassischen Arcade-Games, das es so auf dem C64 noch nicht gab.

Vielleicht noch ein Wort zu „die Hardware bleibt immer gleich”: auch wenn der gute alte C64 immer noch ist wie eh und je gibt es heute einen entscheidenden Unterschied zu früher: es werden immer weniger Disketten oder Datasetten (= Musikkassetten als Speichermedium für Computer) verwendet. Heute kann man einen USB-Stick oder eine SD-Karte auch direkt am C64 betreiben, was sehr komfortabel ist und den Austausch erleichtert, da einfach Programme aus dem Internet auf den Stick kopiert und sofort am C64 verwendet werden können.

Bytegame: Wie ist es für dich, wenn du Programme für den C64 erstellst – hast du das Gefühl, du beherrschst die Möglichkeiten der Hardware, du bist am C64 der Experte und bewegst dich (meistens) auf sicherem Terrain?

Protovision: Jetzt hast du einen Nerv getroffen. Für mich ist es genau das: die beherrschbare Komplexität, die für mich den Spaß am C64 ausmacht. Der C64 hat eine Komplexität, die zwar nicht trivial ist, aber man hat noch eine reelle Chance, ALLES zu verstehen. Jedes einzelne Byte und jede Leiterbahn. Als Programmierer gibt das natürlich eine gewisse Sicherheit. Aber auch als Nutzer, denn ein C64 liefert keine plötzlichen Überraschungen: wie oft habe ich erlebt, dass ein PC-Programm plötzlich nicht mehr so läuft wie früher. Irgendwas geht nicht und man steht davor und fragt sich was nun. Diese Art der Frustration gibt es beim C64 nicht. Es gibt weder Updates, die installiert werden müssten, noch Abhängigkeiten zur Onlinewelt. Somit funktioniert alles wie immer, egal ob es ein Spiel aus 1982 ist oder aus 2022.

screenshot Sams Journey, man sieht einen grünen Busch und Plattform-Elemente
Das Erkunden der Level ist bei Sam’s Journey eine wichtige Aufgabe – es gibt viel zu entdecken.

Bytegame:  Kann man auf dem C64 auch heute noch etwas Neues erwarten? Gerne auch in Hinblick auf zwei Eurer Games, die beiden Spiele Galencia und Sam’s Journey. Sind diese Spiele originell – oder gab es das schon vor 30 Jahren in der Art?

Protovision: Wäre es spannender, wenn Superman einfach alles könnte und gegen alles immun wäre, auch Kryptonit? Ich glaube es gibt da sowas wie einen Sättigungsgrad. Wenn Du nur wenige Legosteine hast, sind die Möglichkeiten bald erschöpft. Wenn Du aber Millionen von Steinen in allen nur erdenklichen Farben und Formen hast, dann wird es unübersichtlich und man ist leicht überfordert wegen der unendlichen Möglichkeiten. Irgendwo dazwischen liegt ein guter Punkt für Kreativität. Auch für uns selbst ist es immer wieder neu überraschend, was alles NEUES und kreatives auf dem C64 gemacht wird. Immer wieder. Seit bald 40 Jahren. Es reißt nicht ab, eigentlich wird es sogar immer spannender. Ob wir kreativ sind? Das will ich doch schwer hoffen! Schließlich war unser erster Slogan „Creating the Future”, da wir uns anders als man vielleicht denken könnte nicht als Nostalgiker sehen, sondern als Wegbereiter und Pioniere. Mit Galencia und Sam’s Journey haben wir ein neues Modulformat in die Welt geliefert. Zuvor wurden all unsere Spiele auf Diskette geliefert, seit Galencia bieten wir auch Module an. Man steckt sie hinten in den C64 und hat dann praktisch keine Ladezeiten mehr. Das allein ist nicht neu, aber unsere Module sind 512kb groß und können auch Spielstände abspeichern. Das gab es so noch nicht. Auch jetzt entwickeln wir neue Hardware. Wir werkeln an einem Joypad, welches 8 Tasten hat anstelle von nur einer wie es am C64 üblich ist. Sam’s Journey selbst ist ebenfalls in vielerlei Hinsicht innovativ.

Galencia - mitten im Kampf - man sieht angreifende Aliens und das verteidigende Raumschiff
Galencia bietet einen steigenden Schwierigkeitsgrad – auf knifflige Level folgen aber wieder leichtere – und man kann sich immer verbessern.

Bytegame: Was ich bisher von Galencia gesehen habe (man findet es ja bei Steam), erinnert mich sehr an Arcade-Games aus meiner Kindheit – nur irgendwie schicker. Eines Eurer Flagschiffe ist aber Sam’s Journey, soweit ich das richtig verstehe ein Plattformer/Jump ´n Run. Was macht Sam’s Journey so besonders – sowohl aus technischer Sicht als auch vom Gameplay her?

Protovision (Jak): Gut beobachtet! Galencia ist vom Spielprinzip her nicht neu. Das Konzept kommt von einem Arkadeautomaten, für den es bis Galencia keinen wirklich guten Ansatz auf dem C64 gab. Die Neuerung liegt hier im Detail. Die Steuerung von Galencia ist extrem präzise und ausgefeilt. Die Grafik und Musik passt gut rein und die Level sind sehr gut aufeinander abgestimmt. Es folgen auf ganz schwierige Level wieder etwas leichtere, durchschnittlich wird es aber schwerer, wodurch eine besondere Dynamik zustande kommt. Galencia ist schwer, aber bei jedem konzentrierten Spielen kann man ein Stückchen weiter kommen und alle paar Level gibt es neue Gegnerarten, die wieder neue Strategien bedürfen. Es ist diese Dynamik, die Galencia von anderen ähnlichen Titeln abhebt. Dazu natürlich die technische Perfektion, die Galencia „etwas schicker” erscheinen lässt.

Screenshot von Sams Journey - man sieht Sam und eine Skyline
Bei Sam’s Journey kann man Gegenstände benutzen und mit Kostümen seine Rolle wechseln.

Knights of Bytes (Chester): Obwohl es für den C64 sehr viele Spiele in allen erdenklichen Genres gab, blieben herausstechende Plattformer eher ein rares Gut. Jeder damalige und heutige C64-Fan würde sehr wahrscheinlich Gianna Sisters nennen, und wer in den 90er-Jahren dabei war, hat vermutlich auch Mayhem in Monsterland kennengelernt. Aber selbst die besten C64-Plattformer erreichten in Bezug auf Gameplay, Features und Spielumfang nicht die Klasse der Genrevertreter auf den Konsolen von Sega und Nintendo.

Sam in der Wüste
In den letzten Jahrzehnten wurde die Qualität von Software auf dem C64 stets verbessert. Sam’s Journey profitiert von dieser Entwicklung. Hier ist Sam in einer Wüstenlandschaft unterwegs.

Sam’s Journey trat nun mit dem Anspruch an, diese Konsolen-Vibes auf den C64 zu holen. Dabei geht es um den Titelhelden Sam, dessen unerwartete Reise ihn durch eine fremde Welt führt. Um die teils riesigen Levels mit all ihren versteckten Geheimnissen zu erkunden, stehen ihm eine große Menge an Standard-Moves wie Laufen, Springen, Klettern, Schwimmen, Tauchen, sowie das Aufheben, Tragen und Werfen von Gegenständen zur Verfügung. Außerdem kann er Kostüme finden und damit seine komplette Gestalt verändern. So wird er beispielsweise zum Ninja oder zum Piraten und erhält dabei zusätzliche Fähigkeiten. Sam trifft auf seiner Reise auf allerlei Kreaturen, die ihm das Leben erschweren, aber auch auf viele hilfreiche Objekte wie Trampoline, Schalter oder Schlüssel, die ihm neue Wege eröffnen.

Zu den technischen Highlights von Sam’s Journey gehört zum Beispiel das C64-untypische Scrolling in alle Richtungen, das zudem recht zügig ist, damit es dem sehr agilen Charakter folgen kann. Auch der Kostümwechsel im laufenden Spiel, bei dem der Heldensprite komplett ausgetauscht wird, zählt mit Sicherheit dazu. Die anspruchvollste Aufgabe war es allerdings, die schiere Menge an Mechaniken, Objekten und Features im knappen Speicher des C64 unterzubringen.

Die Box von Sams Journey Cartridge ausgepackt - sie enthält diverse Goodies wie Karten und eine kleine Schatztruhe mit "Edelsteinen"
Protovision legt wert auf Goodies. Die Boxen der Spiele enthalten in der Regel mehr als nur das Cartridge – hier sieht man den Inhalt der Box von Sam’s Journey

Sam’s Journey wurde zwar für einen alten Heimcomputer entwickelt, ist aber ein modernes Spiel. Es gibt keine begrenzten Leben oder ein Zeitlimit. Stattdessen liegt der Fokus auf dem Erschließen der Spielwelt, und wer einen 100%-Score möchte, der muss in einem Level alle Geheimnisse entdecken, die wir dort versteckt haben. Innerhalb der Abschnitte gibt es Checkpoints, bei denen Sam im Falle eines Lebensverlustes wieder starten darf, und der Gesamtfortschritt kann direkt auf der Diskette oder dem Cartridge gespeichert werden.

Bytegame: In der Tat klingt das nach mehr Spielinhalt, als ich aus meiner frühen Jugend am C64 gewohnt bin. Und zudem sehr motivierend! Vielen Dank an Euch beide für das Interview und weiterhin viel Erfolg mit moderner Retro-Software!

 

Links:

Protovision-Games

Galencia bei Steam

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