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Tracker: Die programmierte Musik

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Tracker - Die programmierte Musik
  • 8Minuten

April 2018 im E WERK Saarbrücken. Über Ostern ist die Revision, eine der größten Demoszene-Partys der Welt, im vollem Gange. Über 1000 Scener aus mehr als dreißig Nationen haben sich eingefunden. Gerade läuft die „Tracked Music Competition“. Diesen Wettbewerb gibt es bereits seit rund 25 Jahren, ein Spektakel ist nicht zu erwarten. Doch dann startet mit „Wrecklamation“ von der Gruppe Logicoma der letzte Beitrag.

Zunächst leichtes Gelächter, dann verhaltener Jubel. Zum Ende hin rastet die komplette Halle völlig aus. Auf Twitch entfährt zum Schluss einem der Kommentatoren das, was vielen durch den Kopf geht. „HOLY SHIT!“

Tränen der Rührung

Ich habe die Competition selbst live verfolgt. Am Ende hatte ich so viele Tränen in den Augen, dass ich den Monitor kaum sehen konnte. Ja, das Lied war gut. Eines der Besten im Wettbewerb, aber so nah bin ich nicht am Wasser gebaut, als dass mich der Song hätte näher berühren können. Es war vielmehr die verwendete Technik.

Logicoma hat etwas gemacht, was wohl in dieser Form niemand für möglich gehalten hätte. Vor allem, dass das vom verwendeten XMPlay so perfekt wiedergegeben wird. Es wurde nicht nur ein Lied abgespielt, nein. Die Notenblätter wurden so manipuliert, dass gleichzeitig alte Demoszene-Effekte gezeigt wurden. Um zu verstehen, warum dies so genial ist, müssen wir uns die Technik genauer anschauen.

Was sind Tracker?

Ein Tracker ist eine Art von Musiksequenzer-Software. Die Musik wird als Musiknoten dargestellt, die in mehreren Kanälen an zeitlichen Positionen auf einer vertikalen Zeitachse positioniert sind. D. h., dass die Noten nicht von links nach rechts, sondern von oben nach unten eingelesen werden.

Die Benutzeroberfläche eines Trackers ist in der Regel zahlenbasiert. Noten, Parameteränderungen, Effekte und andere Befehle werden mit der Tastatur in ein Raster fester Zeitfenster als Codes aus Buchstaben, Zahlen und Hexadezimalziffern eingegeben. Schaut man sich ein solches Notenblatt an, muss man unweigerlich an eine Excel-Tabelle denken.

Der ModPlug-Tracker
Der ModPlug-Tracker (Bild: ModPlug Central)

Einzelne Patterns (das sind die Notenblätter) haben unabhängige Zeitleisten. Ein kompletter Song besteht aus einer Masterliste wiederholter Patterns.

Kurz gesagt, funktionieren Tracker folgendermaßen. Man lädt sich Samples ein. Mit diesen kann man Noten im Pattern setzen. Zum Beispiel hat man ein Klavier mit einem Grundton, etwa C auf der vierten Oktave. Die restlichen Töne, wenn keine weiteren Klaviersamples vorhanden sind, werden vom Tracker emuliert. Je weiter der Ton vom Ausgangssample abweicht, umso unrealistischer wird er. Teilweise ist dies sogar gewollt.

Man kann einzelne oder mehrere Töne gleichzeitig spielen. Tempo und Lautstärke anpassen und, je nach Tracker und Modulformat, weitere Effekte verwenden.

Ursprünge und Entwicklung

Der Begriff Tracker leitet sich von Ultimate Soundtracker (der ersten Tracker-Software) ab, die von Karsten Obarski geschrieben und 1987 von EAS Computer Technik für den Amiga veröffentlicht wurde. Es war ein kommerzielles Produkt, aber bald erschienen auch Shareware-Klone wie NoiseTracker (1989). Einige frühe Tracker-ähnliche Programme erschienen vor 1987 für den MSX (Yamaha CX5M) und den Commodore 64, wie z. B. Sound Monitor, aber diese boten keine Sample-Wiedergabe, sondern spielten Noten auf dem internen Synthesizer des Computers. Später unterstützten Programme wie Rock Monitor zusätzlich die Sample-Wiedergabe, meist mit kurzen Drum-Samples, die in den RAM-Speicher geladen wurden.

Der Ultimate Soundtracker begann als Werkzeug für die Entwicklung von Spielesound für den Amiga. Das Programm ermöglichte eine vierkanalige Hardwaremischung auf allen Amiga-Computern, beschränkte aber im Gegensatz zu späteren Versionen die Anzahl der Samples/Instrumente in einem Song auf 15. Es ordnete die vier Kanäle strikt zu: Melodie (Lead), Begleitung, Bass und Perkussion. Es konnte die Spuren als eine Folge von Assembler-Anweisungen exportieren.

Der Fast Tracker II von Triton unter MS-DOS.

Es war naheliegend, ein Soundprogramm so zu entwerfen, als würde man programmieren, schließlich waren Spieleentwickler in den 1980er Jahren oft Programmierer, Musiker und sogar Grafiker in einer Person. Selbst heute noch, mit modernen Trackern, wird das Verfahren als „Assembler typisch“ bezeichnet.

Obwohl der original Soundtracker keinen kommerziellen Erfolg hatte, wurden die Schnittstellen, also die Art des Komponierens, zu einem Standard für die Soundproduktion von Spielen auf dem Amiga.

Trotz der Probleme der ersten Version erkannten einige Computerenthusiasten die guten Ideen. Der ursprüngliche Code von Ultimate Soundtracker wurde schnell zerlegt und illegal verbessert, ohne Rücksicht auf Obarskis geistiges Eigentum. Soundtracker II wurde von der Szenegruppe The Jungle Command veröffentlicht, gefolgt von einer Fülle weiterer illegaler Versionen von verschiedenen Szenegruppen, mit unzähligen Verbesserungen gegenüber des offiziellen und legalen Vorbilds.

Die ersten Tracker unterstützten vier tonhöhen- und lautstärkemodulierte Kanäle mit 8-Bit-PCM-Samples, eine Einschränkung, die sich aus dem Paula-Audio-Chipsatz des Amigas und dem 8SVX-Format ergab, das zum Speichern von gesampeltem Sound verwendet wurde.

In den 1990er Jahren zog es Tracker-Musiker auf den PC, als die Softwareproduktion allgemein von der Amiga-Plattform auf den PC umstieg. Obwohl der IBM und die kompatiblen Geräte anfangs nicht über die Hardware-Soundverarbeitungsfähigkeiten des Amiga verfügten, näherte sich die PC-Audioqualität mit dem Aufkommen der SoundBlaster-Reihe von Creative mit der Veröffentlichung der SoundBlaster 16 langsam der CD-Qualität an.

Die Verantwortung für die Audiomischung ging von der Hardware auf die Software über, was nach und nach die Nutzung von mehr Kanälen ermöglichte. Von den typischen 4 MOD-Kanälen des Amigas hatte sich die Grenze auf 7 mit den TFMX-Playern und 8, zuerst mit Oktalyzer, dann 32 mit ScreamTracker 3 (PC, 1994) und FastTracker 2 (PC, 1994) und weiter auf 64 mit Impulse Tracker (PC, 1995) und MED SoundStudio verschoben. Der Amiga-Tracker Symphonie Pro unterstützte sogar 256 Kanäle.

Jedes dieser Programme hatte ein eigenes Format, meistens wurden aber auch, sofern möglich, konkurrierende Formate unterstützt. Die Häufigsten waren MOD, S3M, IT und XM. Aufgrund des MOD-Formats vom Amiga wurden Lieder aus Trackern kurz „Module“ genannt.

Rasante Verbreitung

In der Demoszene, aber auch darüber hinaus, verbreiteten sich die Lieder sehr schnell. Das hatte vor allem drei Gründe:

  1. MP3 gab es damals noch nicht. CD-Lieder waren zu groß, Tracker-Musik hingegen hatte meist wenige Kilobyte bis hin zu circa einem Megabyte.
  2. Im Modul waren alle Noten und alle Samples offen enthalten. Man bekam somit nicht nur das Lied, sondern auch den Bauplan.
  3. Da die meisten Tracker kostenlos waren, konnte jeder selbst Musik machen. Aufgrund anderer Module bekam man viele neue Samples und lernte, wie Musik funktioniert.

Genau genommen musste man nicht einmal Noten lesen können und brauchte ausschließlich das Gerät, an dem man ohnehin saß. Die Noten, auch Akkorde, wurden über die Tastatur eingespielt bzw. getippt.

Spätere Tracker entfernten sich von der ausschließlichen Verwendung von Moduldateien und fügten andere Optionen sowohl für die Klangsynthese (mit generischen Synthesizern und Effekten oder MIDI-Ausgang) als auch für die Sequenzierung (MIDI-Eingang und Aufnahme) hinzu und wurden so zu Allzweck-Sequenzern mit einer anderen Benutzeroberfläche.

Tracker-Musik war in Computerspielen der späten 1990er und frühen 2000er Jahre zu hören, z. B. in der Unreal-Serie, Deus Ex, Crusader: No Remorse, Jazz Jackrabbit und Uplink. Auch eines meiner Spiele, „Sorades – Die Befreiung“ verwendet zumindest in der Freeware-Version Tracker-Musik. Dazu später mehr.

Die Lieder ließen sich nicht nur im Tracker, sondern in speziellen oder sehr allgemeinen Playern abspielen, wie etwa dem genialen Cubic-Player. Und auch unter Windows gibt es entsprechende Software, etwa den erwähnten XMPlay. Doch hier tun sich bereits Probleme auf. Nicht jeder spezielle Befehl im Tracker wurde auch von jedem Player so abgespielt, wie vorgesehen.

Aus Befehlen wird Klang

Es gibt ein paar Befehle, die nahezu alle Formate unterstützen. Etwa die Geschwindigkeit bzw. der Takt des Liedes. Dafür gibt es sogar zwei Befehle. Einmal die klassischen BPM, aber auch Lines per Beat (LPM). Dies kann nach belieben und sogar zeilenweise geändert werden. So lassen sich etwa funkige Songs komponieren, die alle zwei bis vier Zeilen das Tempo zwischen schnell und langsam hin und her schalten. Oder einen behäbigen Ausklang, bei dem das Tempo gedrosselt wird.

Dann gibt es Befehle für die Lautstärke. Auch diese können zeilenweise eingegeben werden und sich entweder auf den aktuellen Kanal oder den ganzen Track beziehen. Hierbei sind absolute wie relative Befehle möglich. Man kann bspw. von 10 auf 12 gehen oder schlicht +2.

Eine Eigenart von Trackern ist die Verwendung von Hexadezimalzahlen. Das geht von 0 bis 9 und dann weiter mit A, B, C, D, E, F. So sind zwischen 0 und F 16 Zahlen möglich. Zweistellig, also von 00 bis FF, werden so Zahlen bis 256 abgedeckt (16×16). Das macht den Einstieg für einige Musiker etwas schwieriger.

Für die Samples gibt es zahlreiche Befehle zur Manipulation, die in Echtzeit ausgeführt werden. Zum Komponieren ist das genial. I. d. R. lässt man ein Pattern in Schleife laufen, hat nur einen Kanal offen, tippt die Befehle ein und hört sofort eine Veränderung. Dazu ein paar Beispiele:

  • Versatz der ersten/zweiten Note in Halbtönen (Arpeggio).
  • Verschiebung der Tonhöhe um 1/16tel eines Halbtons nach oben oder unten.
  • Gleiten in Richtung der gegebenen Note um 1/16tel eines Halbtons.
  • Regelmäßige Tonhöhenänderung (Vibrato).
  • Regelmäßige Lautstärkeschwankung (Tremolo).
  • Sample Slice.
  • Sample rückwärts abspielen.

Man kann auch die Balance zwischen links und rechts (Stereo) verschieben. Durch die Möglichkeit, Samples ab einer bestimmten Stelle abzuspielen, lässt sich aus einem gewöhnlichen Drum-Loop sehr einfach eine D&B-Line erzeugen. Und das, wie gesagt, in Echtzeit. Damit können mit wenigen Samples sehr abwechslungsreiche Klänge erzeugt werden.

Impulse Tracker 2 unter MS-DOS

Natürlich gibt es, je nach Soundformat, noch weitere Befehle. Etwa die Möglichkeit, zu einem bestimmten Pattern oder einer Zeile im Pattern zu springen. Von manchen Musikern wurde dies genutzt, um Passagen rückwärts laufen zu lassen, damit das Notenblatt von unten nach oben scrollt, statt umgekehrt.

Und hier sind wir wieder bei „Wrecklamation“. Die Verfahren sind alt bekannt. Aber bis dahin hat sich wohl niemand getraut, es so weit zu denken und mit Sprungmarkern und „toten Noten“ Effekte zu zeichnen. Schon alleine deshalb, weil man dies weder von Hand entsprechend komponieren kann, noch vom Tracker selbst so wiedergegeben wird. Es war nie gedacht.

Die Magie hinter „Wrecklamation“

Zunächst wird ganz normal ein Lied komponiert. Anschließend wird es per Code der Track manipuliert. Dabei schreibt man die Effekte als Noten in die einzelnen Patterns und verbindet sie mit entsprechenden Sprungmarkern. Durch das extrem schnelle Springen zwischen den Patterns in bestimmte Zeilen, sieht es am Ende so aus, als würden die Noten nahezu still stehen und sich stattdessen nur der Effekt bewegen.

Das funktioniert in dieser extremen Form wohl auch nur mit dem XMPlay, der auf der Revision als Player eingesetzt wurde. Letztlich bedeutet dies, dass der ganze Aufwand ausschließlich für diesen Wettbewerb und den magischen Moment betrieben wurde. Nur im XMPlay funktioniert es, wie vorgesehen und nur auf einer Party wie der Revision erfährt das Werk seine sachkundige Würdigung.

Tracker heute

Die Technik war schon immer etwas für Geeks. Auch wenn es immer wieder für Musik in Spielen eingesetzt wurde, hat es sich im kommerziellen Bereich nicht durchgesetzt. Dabei hat es, selbst nach MP3, durchaus seine Vorteile. In der Demoszene wurden Module sehr lange benutzt – und das nicht nur wegen der geringen Dateigröße. So kann man etwa mit „toten Befehlen“ Arbeiten, die vom Player nicht als Musikbefehle verarbeitet werden, um eine Demo besser zu timen. Dabei legt man eine Liste an, deren Zahlen mit einem nicht verwendeten Buchstaben beginnen. Bspw. F01, F02 etc. Im Code werden Befehle hinterlegt, die beim Einlesen dieser Zeilen ausgeführt werden.

Beispiel: wenn F01: blende Bild ein. Wenn F02: blende Bild aus.

Außerdem ist es mit dieser Technik relativ einfach, dynamische Musik auf das Spielgeschehen zu erzeugen. Mit MP3 (oder OGG, spielt keine Rolle) rendert man entsprechende Schnipsel, was je nach Anzahl der Situationen und Loops viel Platz in Anspruch nehmen kann. Per Tracker hat man eigene Patterns, die Samples sind ja immer die Gleichen. Und je nach Situation springt man zwischen denen hin und her.

2006 veröffentlichte ich mit einem kleinen Team das Echtzeitstrategiespiel Sorades – Die Befreiung. Uns war schon bei der Entwicklung klar, dass wir mit kommerziellen Produkten nicht ansatzweise mithalten können. Grafik, Features (es gab bspw. keinen Netzwerkmodus) etc. fehlten oder waren nicht von AAA-Qualität. Aber wir wollten ein solides Spielerlebnis bieten und es dennoch möglichst klein halten. Was Spiele aufbläht, sind Grafiken und Sounds. Die Musik ging etwas über eine halbe Stunde lang. Wir setzten von Anfang an auf das MO3-Format. Es vereint die Stärken aus Modulen und MP3. Beim Komponieren konnte ich mehr Samples verwenden, weil diese später als MP3-Samples komprimiert wurden. So kamen alle Lieder zusammen nur auf 3,3 Megabyte, das ganze Projekt blieb bei unter 50 MB. Das orchestrale Lied vom Abspann bspw. ging fast sechs Minuten. Die XM-Version hatte 1,42 MB, die MO3-Version nur noch 442 kB. Zum Vergleich: Als WAV, also ohne Kompression, hätte das Lied 65,5 MB eingenommen. Als MP3 mit 190 kbps immerhin noch 8,29 MB. D. h. selbst gegenüber MP3 spart die MO3-Version knapp 95%!

Die Freeware-Version von Sorades – Die Befreiung

Das war wohl eines der Gründe, warum es vor allem in Osteuropa so beliebt war, obwohl es nur eine deutsche Version gab. Sorades war kostenlos und schnell heruntergeladen. Dafür bekam man Spielspaß für viele Stunden.

Bei der kommerziellen Version, die 2008 veröffentlicht wurde, stiegen wir auf OGG um. Dies lag vor allem daran, dass uns die Lizenzgebühren für MO3 zu teuer waren. Die „Unlimited Commercial licence“ kostet heute noch 3450€. Da das Game auf CD erschien, war die Dateigröße auch nicht mehr entscheidend. Mit 232 MB passte es gut auf die Scheibe. Zudem gab es viele neue Lieder und gegenüber der Freeware-Version über 200 Änderungen.

Trotz des Exotendaseins ist die Technik bis heute lebendig. Der kommerzielle Tracker Renoise, den ich selbst verwende, wird stetig weiterentwickelt. Damit werden nicht nur nerdige Projekte umgesetzt, sondern hoch professionelle Lieder komponiert.

Und auch für Randgebiete der Spieleentwicklung ist die Technik m. M. n. heute noch interessant. Etwa für Mobile-Games, die viel Musik bieten wollen, deren Datenvolumen sich aber entsprechend in Grenzen halten soll. Oder schlicht, wenn es darum geht, ein möglichst perfektes Timing zu erreichen. Nur wird es mit den Jahren immer schwieriger, Musiker zu finden, die mit einem Tracker umgehen können. Zur Not muss das der Programmierer selbst machen.

Mehr zur Demoszene

Die verlorene Kultur
Intros: Im Schwarzschild-Radius der Demoszene!
Kunst, Code und Maschine – Die Ästhetik der Computer-Demoszene
EnDOSkopie – Cubic Player

Weiterführende Links

//de.wikipedia.org/wiki/Tracker_(Musik)
//openmpt.org/
//modarchive.org/

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