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Die Sicht als Spielleiter

Nach Jahren Pen & Paper als Spieler hatte ich irgendwann selber Lust, mal ein Spiel zu leiten. Ich hätte natürlich ein schon bestehendes Regelwerk nehmen können, was Struktur und Vorgaben hat und ich mir nur eine hübsche Hauptquest raussuchen muss.

Sich durch ein schon existierendes Regelwerk zu fuchsen ist selbstredend nicht so leicht, denn was man als Spieler nicht sieht, sind die vielen Zahlen, die hinter dem Geschehen stecken. Wie in der realen Welt brauch es in einer Spielwelt Regeln, Naturgesetze und Rahmen in denen etwas machbar ist oder nicht.

Das alles wird durch Zahlen definiert wie z. B. bei Dungeons & Dragons: Du hast einen Rüstungswert, der dir sagt, ob du Schaden bei einer Attacke bekommst oder nicht. Wir nehmen mal für ein Beispiel die Zahl 12. Wenn du einen Rüstungswert von 12 hast, muss der Gegner einen W20 werfen und 12 oder höher schaffen damit er dir Schaden zufügt. Im Prinzip nicht schwer, doch bevor er dich angreift, will er sich bewegen und muss minimal eine 5 werfen, damit er sich nicht hin packt.

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Er entscheidet sich, seine Waffe lieber zu werfen, weil er wohl verlernt hat zu gehen und muss – weil er kein Fernkämpfer ist, aber dafür viel Kraft besitzt – eine 14 Werfen. Er trifft und die Waffe macht 7W8 (7-mal einen W8 würfeln) plus 3 Schaden und da die Klinge aus Silber ist, kommt da noch ein Bonusschaden von 5 hinzu. Ach ja er blutet schon, dann bekommt er jetzt 1W4 Blutungsschaden und da ein Zauber auf ihn liegt, muss er jetzt 2 Runden aussetzen. Mit 10 Wahrnehmung hat er aber die Möglichkeit, einen Konterwurf gegen diesen Zauber zu würfeln und muss minimal eine 16 werfen. Weist du noch, welche Rüstungsklasse du hattest?

Dieses improvisierte und leicht überspitzte Beispiel soll zeigen, wie viele Zahlen allein in einem Kampf so im Orbit herumschwirren können. Natürlich stehen die Werte der Spieler auf dem Charakterbogen und auch der Gegner, den der Spielleiter erschaffen hat, wird seine Werte irgendwo stehen haben. Aber zu wissen, mit wie viel Kraft du ein Schwert werfen kannst, dein gebrochener Arm diese Aktion aber beeinflusst und somit eine Zahl am Ende stehen muss, die es eben zu überwinden gilt, das ist nicht immer leicht. Vor allem, wenn es mehrere Spieler sind, die agieren möchten. Hinzu kommen die NPCs.

Es ist eine ganze Menge Zahlengemerke und viel Nachschauen notwendig, um einen Spielfluss zu kreieren, wenn auch irgendwann gewisse Dinge ins Blut übergehen und es inzwischen vereinfachte Regelwerke gibt.

Dungeons & Dragons ist zwar klassisch, aber sehr komplex und nicht gerade einsteigerfreundlich. Da ich auf das ganze Zahlengeschiebe bzw. das Behalten der Zahlen im Kopf keinen Nerv habe, hatte ich mich dafür entschieden, ein eigenes Regelwerk auf die Beine zu stellen. Das ist nicht unbedingt leichter, aber es hat den Vorteil, dass du mehr Einfluss darauf hast und einen wesentlich besseren Gesamtüberblick.

Ich hab also von ganz vorne angefangen und mir die simpelsten Fragen gestellt: Was ist Kraft? Wodurch wird sie definiert? Mit wie viel Kraft kann man eine Tonne heben? Am Ende habe ich 4 Werte zusammengehabt, die meine Welt in ihrer Grundform bestimmen und eine maximale Zahl, bis wohin ein Wert gehen kann.

Der Anfang und das Ende sind mit unter die wichtigsten Dinge, in diesen Rahmen baut man alles Andere ein. Ich habe es mir soweit leicht gehalten und gesagt, dass wenn etwas doch nicht in diese 4 Werte reinpasst, einfach ein W20 entscheiden soll. Auch hier gibt es wieder Bestimmungen wie: 1-5 ist ein kritischer Misserfolg, 6-10 ein Misserfolg, 11-16 ein Erfolg usw. Am Ende hat man genug Zahlen, dass einem als Spielleiter nicht langweilig wird. Aber das ganze Herumgebastel hat sich gelohnt und nach ein paar Spielrunden und etwas Feinjustierung habe ich einen kompletten Überblick über meine Welt und weiß fast aus dem Kopf, welche Zahl für welche Aktion benötigt wird.

Zahlen können sehr trocken und statisch sein und gerade ich bin jemand, der nie warm mit der Mathematik wurde, aber ohne sie gäbe es keine Struktur und man wäre nicht in der Lage ein Spiel zu leiten.

Ich hatte beim Bau des Regelwerks eine Vorlage, nach der ich die eine oder andere Entscheidung getroffen habe. Diese Vorlage ist ein Anime mit dem Namen One Piece und sie hat eine solide Welt gebracht, sodass ich mir nicht alles alleine ausdenken musste.

Die Kreativität ist als Spielleiter eben genauso wichtig wie der Überblick, denn was wäre eine Welt, in der nichts Aufregendes passiert? Inseln wollen gebaut und Nebencharaktere erschaffen, Quests ausgedacht werden. Meistens gibt es eine Hauptstory, die sich durch das Spiel wie ein roter Faden zieht. Nebenquests, interessante Ereignisse und Begegnungen sowie kleine Knobellein und last but not least die Kämpfe, sorgen für das eigentliche Spielerlebnis.

Ab diesem Moment darf man dann sehr kreativ werden und das ist auch der Punkt, wo sich selbst mit gleichem Regelwerk die Spiele arg unterscheiden können, denn jeder Spielleiter macht es anders. Der eine legt Wert auf eine lebendige und detaillierte Welt und baut ganze Städte im Detail aus, sodass für jede Eventualität etwas auf dem Papier steht.

Ein anderer fokussiert sich auf die Charaktere und ihre Geschichte in der Welt, ihr Auftreten und das rüberbringen. Manche bauen nur grob vor und improvisieren den Rest und wieder andere erschaffen einen linearen Weg und lenken die Spieler sehr in die Richtung, wohin die Story führt. Jeder hat seine eigene Vorstellung von seiner Welt und dementsprechend spielt sich auch das Pen & Paper.

Meine Wenigkeit legt Wert auf Freiheit und Möglichkeiten. Ich lasse die Teilnehmer gerne ihr eigenes Abenteuer erleben und wenn sie den ganzen Tag nur in der Taverne hocken und Karten spielen wollen, obwohl draußen im Regen ein wichtiger Questgeber wartet, dann ist das eben so.

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Natürlich können dadurch Ereignisse, die ich vorher geplant habe, nicht stattfinden, aber das ist der Preis bei dieser Art des Leitens. Ich habe am Anfang sehr viel Mühe investiert und einiges im Detail ausgearbeitet, sodass es überall was zu entdecken gab. Am Ende haben die Spieler nicht mal die Hälfte von dem mitbekommen, was auf der Insel abging, und ich war etwas niedergeschlagen.

Du kannst gewisse Herangehensweisen deiner Spieler erahnen, kannst Eventualitäten abstecken und dich auf diese versuchen einzustellen. Jedoch wirst du nie das Verhalten deiner Spieler zu 100% vorhersehen können und wirst immer in Situationen geraten, wo du improvisieren musst. Deswegen halte ich es inzwischen locker und verkrampfe mich nicht so auf das detaillierte Ausarbeiten.

Ich habe viel Grobes und mache den Rest spontan, wenn es so weit ist und diese Lockerheit kommt auch gut an. Der Spielleiter bekommt ja direktes Feedback der Spieler, die offen sagen, was sie denken. So ist es gut, eine Balance zwischen Spielweise der Spieler und der gebauten Welt des Leiters zu schaffen, denn das zwanghafte Durchprügeln ist nichts für mich und sorgt für ganz seltsame Vibes.

Für ein sehr Strukturiertes Pen & Paper hab ich mir auch das falsche Setting ausgesucht. Die Welt von One Piece besteht aus Meer und ganz vielen verschiedenen Inseln, zu denen man hinsegeln kann. Mal abgesehen von der Verrücktheit der Welt selber. Ich bin sehr zufrieden mit mir und was ich bis jetzt geschafft habe, aber was gibt mir das Leiten eigentlich? Immerhin hab ich bis jetzt nur von Zahlen, Herangehensweisen und bauen erzählt.

Nun, dass wirklich Tolle am Spielleiter sein, wenn man den Part es Einfuchsens in die Rolle allgemein mal weglässt, ist das Erschaffen seiner eigenen Welt und das Beobachten der Spieler in ihr. Man fühlt sich wie ein kleiner Gott und entlässt frei denkende Wesen in seine Welt, um sie zu entdecken und zu beeinflussen.

Es ist interessant, welche Entscheidungen Spieler und Charaktere treffen, wenn man sie vor eine Wahl stellt. Es ist spannend, die Folgen dieser Entscheidungen zu präsentieren und die Welt wie Knete aufgrund des Verhaltens der Spieler zu formen. Es ist lustig, einfach irgendwelche Ereignisse geschehen zu lassen, mit denen die Spieler umgehen müssen. Es ist packend, wenn ein Kampf mehrere Wendepunkte einnimmt und ein Charakter kurz davor ist zu sterben. Es ist berührend, wenn ein Charakter stirbt und es ist hart, das und andere unschöne Ereignisse als Spielleiter geschehen zu lassen. Es ist lustig, komplett verrückte Nebencharaktere zu spielen und aus sich heraus zu kommen. Es ist befreiend bei einem Fehlwurf total bescheuerte Ergebnisse zu präsentieren und mit den Spielern gemeinsam darüber zu lachen und es gibt ein gutes Gefühl, bei einem erfolgreichen Wurf dem Spieler diesen Erfolg auch vorzuzeigen und zu gönnen.

Es ist ein Austausch verschiedenster Emotionen und Gedanken, der direkt im Spiel geschieht und es ist der Antrieb sich weiter tolle Welten und Quests auszudenken, die Spieler weiter zu füttern und somit diesen Feedbackcocktail und seinen Kreislauf zu fördern.

Man selber weiß manchmal, wohin die Reise geht und freut sich tierisch darauf, wenn die Teilnehmer an diesen lang erdachten Punkt angekommen sind, und man wird dennoch in seiner eigenen Welt überrascht, obwohl man die komplette Kontrolle hat.
Es ist ein Arsch voll Arbeit, sowohl die Vorbereitung als auch die Umsetzung – bei 6-8 Stunden Spielzeit pro Sitzung. Was man zurückbekommt, ist diesen Aufwand wert, weil man nicht nur sich, sondern auch anderen Menschen eine schöne Zeit bereitet.

Es gibt so viel über Pen & Paper zu erzählen. Es ist auf verschiedenen Ebenen unheimlich facettenreich und obwohl ich versucht habe, etwas strukturiert zu schreiben, bin ich doch sehr hin und her gesprungen, weil mir zu jedem Thema gleich das Nächste einfällt.

Ich hoffe, dass der Artikel dennoch lesbar war, sich vielleicht ein Spieler oder Spielleiter wiedergefunden oder womöglich sogar jemand selbst Lust auf diese Art des Spiels bekommen hat. Wer Interaktion mit anderen Menschen mag, wer sich gerne in eine Rolle hineinbegibt, wer mit Zufall und Unvorhergesehenem keine Probleme hat und wer Lust auf ein persönliches Abenteuer hat, dem kann ich Pen & Paper nur ans Herz legen.

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