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OS/2 und Windows 3

IBM sah ein, mit dem Microsoft-Vertrag einen Fehler begangen zu haben. Die Firma von Bill Gates verdiente praktisch an jedem PC, egal ob er von IBM kam oder nicht. Außerdem wurde das Softwareunternehmen immer größer, da neben dem Betriebssystem und BASIC weitere erfolgreiche Programme auf dem PC, aber nicht nur dort, verkaufte. Doch IBM hatte ein noch viel schwerwiegenderes Problem. Sie wollten mit PC-Produkten mehr in Richtung Unternehmen rücken, jedoch das Betriebssystem DOS tat sich hier schwer. Da es für den 8088 entwickelt wurde, konnte es kein Multitasking, was mittlerweile mit einem 80286er möglich war. Hätte man anfangs auf einen 8086-Prozessor gesetzt, wäre womöglich eine zukunftsorientiertere Architektur entstanden.

TopView als Zwischenlösung?

1985 erschien TopView. Es war die erste objektorientierte Multitasking- und Fenster-Betriebsumgebung für PC-DOS, entwickelt von IBM. Es bot eine Betriebsumgebung im Textmodus (obwohl es auch im Grafikmodus lief), die es den Benutzern ermöglichte, mehr als eine Anwendung gleichzeitig auf einem PC auszuführen. TopView verkaufte sich von Anfang an unter den Erwartungen, da viele potentielle User bereits mit billigeren, weniger speicherintensiven TSR-Task-Switchern wie Ready, Spotlight und Borland Sidekick zufrieden waren. Mitte 1987 begann IBM, den Schwerpunkt von TopView weg zu verlagern und warb bei Entwicklern und Endanwendern gleichermaßen für die Verwendung von OS/2. Dies war ein präemptives Multitasking- und Multithreading-Betriebssystem, das eine Real-mode- und mehrere 16-Bit-Protected-Mode-Sitzungen gleichzeitig auf dem 80286er ermöglichte und als DOS-Alternative angeboten wurde. Doch bis dahin war es ein langer Weg.

Topview - Foto: Wikipedia
Topview – Foto: [42]

DOS’ Erben

IBM war klar, dass man DOS nicht einfach ersetzen könne, schließlich gab es zu viele Programme und Anwender dafür. Außerdem sahen sie ein, dass es schwieriger werden würde, einen Nachfolger ohne Microsoft zu entwickeln. So trat man in Verhandlungen und Microsoft versuchte bei dieser Gelegenheit, Windows zu verkaufen. Nachdem alle bei IBM herzlich lachten, machten sie Microsoft klar, dass man ein neues, richtiges Betriebssystem wolle. Etwas mit Qualität. Also begann man im August 1985 mit der Entwicklung. Nach zwei Jahren war Version 1.0 fertig, allerdings ohne grafische Benutzeroberfläche.

Os2 1.0 - Screenshot: Wikipedia
OS/2 1.0 – Screenshot: [43]

Die Arbeitsaufteilung sah zunächst so aus, dass Microsoft den Kern und IBM den Rest entwickeln sollten. Für diese Zusammenarbeit schickte Gates ein eigenes Team zu IBM nach England, was zu großen Spannungen führte. Während die Programmierer in Redmond viele Freiheiten besaßen, fühlten sie sich bei IBM wie in einem Gefängnis. Die Entwickler wurden selbst in der Mittagspause von Wachleuten begleitet. Alle Vorgänge mussten dokumentiert werden, jeder Bedarf wurde per Formular eingereicht. IBM war nicht nur hoch bürokratisch, sondern durchweg paranoid.

Kein weiteres Windows?

Manche Entwickler wollten sogar vom OS/2-Team in das von Windows zurück. OS/2 galt damals, vor allem aufgrund der Architektur, als der technisch nächste große Schritt. Windows hingegen war, vor allem nach Version 2 (1987) und der vernichtenden Kritik tot und komplett auf Eis gelegt. Gates persönlich versicherte mehrmals, auch gegenüber der Presse, es würde kein weiteres Windows mehr geben. Das Team existierte nur noch für Patches (Version 2.11 erschien im März 1989), da Microsoft damals technisch nicht in der Lage war, einige Hürden zu nehmen. Ein Kernproblem war die Ressourcenverteilung bei Multitasking und gleichzeitiger DOS-Kompatibilität.

Hinzu kamen firmeninterne Eigenarten, die Bill Gates zu Denken gaben. In seinem Buch „Der Weg nach vorn“ (1997) beschreibt er es folgendermaßen. IBM gab vor, dass alle Mitarbeiter des Unternehmens Vorschläge für OS/2 einreichen dürfte und jede dieser Ideen vom OS/2-Team besprochen werden müsse. Einer war, dass OS/2 nur eine einzige, bestimmte Schriftart unterstützen dürfe, weil ein IBM-Drucker nur diese Schrift drucken könne. Über diesen und vergleichbare Geistesblitze wurde stundenlang diskutiert.

Aufgabenverteilung und Witze

OS/2 Version 1.1 wurde gleich im Anschluss entwickelt. Die Aufgabe von Microsoft bestand nun darin, die graphische Benutzeroberfläche zu liefern. Als extreme Hürde stellten sich zusätzliche IBM Mechanismen heraus. So mussten zunächst Anforderungsprotokolle ausgefüllt werden, die eine Funktionsbeschreibung enthielten. Diese wurden zur Genehmigung eingereicht, geprüft und ggf. freigegeben. Nach der Entwicklung der Funktion wurde dies einer erneuten Prüfung unterzogen. Nachträgliche Verbesserungen, egal wie sinnvoll sie waren, konnten nicht mehr umgesetzt werden, weil dadurch der ganze Vorgang bei null anfing. Solche Verbesserungen konnten dann nur mit weiteren Updates, also nach der Veröffentlichung, realisiert werden.

OS/2-1.1 - Screenshot: Wikipedia
OS/2-1.1 – Screenshot: [44]

Schnell machten sich Witze der Marke „Warum ist OS/2 so stabil? Keine Software – keine Abstürze“ breit. Bill Gates versicherte einerseits, Windows würde man nicht weiterentwickeln, auf die Frage, wie man für OS/2 Programme schreiben soll, wenn es das Betriebssystem noch nicht gäbe, antwortete er: „Entwickeln sie einfach für Windows. Alles, was unter Windows läuft, wird auch mit OS/2 laufen.“ Das war natürlich grundweg falsch und es ist bis heute nicht klar, ob es Bill Gates nicht wusste, oder absichtlich log. Fakt ist, dass OS/2 trotz seiner Vorzüge ein Flop wurde.

Windows tötet OS/2

Dafür sorgte Microsoft. Die Zusammenarbeit mit IBM endete 1990, zwischen der Veröffentlichung von Windows 3.0 und OS/2 1.3. Windows 3.0 wurde zu einem enormen Erfolg und verkaufte sich im ersten Jahr millionenfach, was zu einem großen Teil darauf zurückzuführen war, dass Windows 3.0 (zusammen mit MS-DOS) mit den meisten neuen Computern mitgeliefert wurde. OS/2 hingegen war nur als zusätzliches, eigenständiges Softwarepaket erhältlich. Außerdem fehlten OS/2 Gerätetreiber für viele gängige Geräte wie z. B. Drucker, insbesondere für Nicht-IBM-Hardware. Windows hingegen unterstützte eine viel größere Anzahl an Hardware.

Windows 3.0 - Screenshot: Wikipedia
Windows 3.0 – Screenshot: [45]

Eine Party für die Zukunft

Doch wie kam es zur überraschenden Entwicklung von Windows 3.0? Gates wollte damit offiziell ja nichts mehr zu tun haben. Nun, alles begann mit den bereits erwähnten Versetzungen. Einer dieser Programmierer, nun im Windows 2 Team, machte sich Gedanken darüber, ob es möglich sei, Windows 2 im Protected Mode laufen zu lassen. Dieser ermöglicht die Begrenzung von Speicherzugriffsrechten für verschiedene Software und es erhöht sich dadurch der direkt zugreifbare Speicher auf 16 MB. Somit wäre Multitasking realisierbar. Auf einer Party traf der Entwickler einen Professor, der bereits Debugger für Microsoft programmierte. Hier sprach er ihn von seiner Absicht, Windows 2 portieren zu wollen, an. Zunächst wollte der Professor damit nichts zu tun haben, da er Windows furchtbar fand, konnte aber überzeugt werden.

Durch den Debugger konnte man jede Zeile des Windows-Codes prüfen, ob er im Protected Mode lief. So wurde es Zeile für Zeile umgeschrieben. Im Spätsommer 1988 kam es dann zu einer großen Besprechung, bei der die ersten Ergebnisse Bill Gates gezeigt wurden. Der Firmengründer dachte lange nach und gab seine Zustimmung. Auf die Nachfrage von Steve Ballmer, damals Manager, was man mit IBM machen solle, meinte Gates nur trocken: „Ich weiß nicht, Steve, aber das ist jetzt dein Problem.“

Portierung abgeschlossen

Nach der vollständigen Portierung begann die eigentliche Entwicklung an Windows 3, dass am 22. Mai 1990 erschien. Schon in den ersten sechs Wochen wurden zwei Millionen Exemplare verkauft. Noch auf der COMDEX 1989 schwor Bill Gates IBM die Treue. Er versicherte, Windows 1991 komplett einzustellen. Nach dem Erfolg hatte sich dieser Schwur für ihn erledigt.

OS/2 2.0 - Screenshot: Wikipedia
OS/2 2.0 – Screenshot: [46]

Microsoft hatte damit ein modernes Betriebssystem mit 100%iger Abwärtskompatibilität. „Rein zufällig“ erschienen mit dem Start von Windows 3.0 auch Excel, Word und Powerpoint für das neue System. OS/2 hatte weiterhin die bessere Architektur, DOS-Anwendungen liefen aber nur selten und richtige OS/2-Software suchte man lange vergeblich. Lotus und WordPerfect wurden für OS/2 statt für Windows umgesetzt, was letztlich das Aus für beide Programme bedeutete.

IBM heute

Zunächst verlor IBM den Kampf bei der Hardware und dann bei der Software. OS/2 fristete ein Nischendasein und wurde letztlich 2001 eingestellt. Es war in nahezu allen Belangen besser als Windows und andere Betriebssysteme, aber in der Negativspirale aus fehlender Software und geringer Kundenzahl gefangen.

Ab 1990 wurde der Konzern umgestaltet. Der Fokus auf Geschäftskunden wurde vor allem im Bereich Beratung und Service verstärkt. Außerdem versucht man, das Unternehmen generell breiter aufzustellen, wie etwa KI-Technologie und Finanzierung, zwischendurch vertrieb man sogar Notebooks.

Es ist immer noch ein Riese, aber mit deutlich weniger Strahlkraft als in den 1980er Jahren. Durch die Umstrukturierungen und teils Ausgliederungen von Unternehmensbereichen konnte sich IBM zumindest teilweise von den eigenen Fesseln befreien. Die zahlreichen kuriosen Geschichten bleiben jedoch haften.

Links

1: Von Adam bis Zuse
2: Die drei großen Buchstaben
3: Kalifornien und Texas erobern die Welt
4: Gleiche Geschwindigkeit bei doppelter Bit-Zahl
5: Die Billig-CPU
6: Computer für die Massen
7: Der Zukunftsprozessor
8: Die Legende des Außerirdischen
9: Eine Freundin für den Geek
10: Siegeszug der 8086er
11: Der elektronische Apfel
12: Der reduzierte Befehlssatz
13: Made in Germany

Weiterführende Informationen

//de.wikipedia.org/wiki/IBM
//de.wikipedia.org/wiki/Herman_Hollerith
//de.wikipedia.org/wiki/Lochkarte
//de.wikipedia.org/wiki/Thomas_J._Watson
//de.wikipedia.org/wiki/DEHOMAG
//de.wikipedia.org/wiki/IBM_und_der_Holocaust
//de.wikipedia.org/wiki/IBM_1401
//de.wikipedia.org/wiki/System/360
//de.wikipedia.org/wiki/Personal_Computer
//de.wikipedia.org/wiki/Apple_I
//de.wikipedia.org/wiki/PET_2001
//de.wikipedia.org/wiki/IBM_Personal_Computer
//de.wikipedia.org/wiki/Bill_Gates
//www.amazon.de/Weg-nach-vorn-Bill-Gates/dp/3455110444/
//en.wikipedia.org/wiki/Apple_II
//en.wikipedia.org/wiki/William_C._Lowe
//de.wikipedia.org/wiki/Digital_Research
//de.wikipedia.org/wiki/Gary_Kildall
//de.wikipedia.org/wiki/IBM_Personal_Computer/AT
//de.wikipedia.org/wiki/IBM_Personal_Computer_XT
//de.wikipedia.org/wiki/Intel_8088
//de.wikipedia.org/wiki/Visicalc
//de.wikipedia.org/wiki/Microsoft
//de.wikipedia.org/wiki/IBM_PC_Portable
//de.wikipedia.org/wiki/PC_DOS
//de.wikipedia.org/wiki/John_Opel
//de.wikipedia.org/wiki/Mary_Maxwell_Gates
//de.wikipedia.org/wiki/Microsoft_Windows_1.0
//de.wikipedia.org/wiki/OS/2
//de.wikipedia.org/wiki/Micro_Channel_Architecture
//en.wikipedia.org/wiki/IBM_TopView

Bildnachweise

[13] Urheber: Bell, C. M. (Charles Milton), ca. 1849-1893
Link: //commons.wikimedia.org/wiki/File:Hollerith.jpg

[14] Urheber: Autor unbekannt
Link: //de.wikipedia.org/wiki/Datei:Hollerith_Punched_Card.jpg

[15] Urheber: Paul C. Lasewicz
Link: //commons.wikimedia.org/wiki/File:Thomas_J_Watson_Sr.jpg

[16] Urheber:  Dr. Bernd Gross
Link: //commons.wikimedia.org/wiki/File:Tabelliermaschine_D11_DEHOMAG_TSD_(1).JPG

[17] Urheber: Dan
Link: //commons.wikimedia.org/wiki/File:IBM_701_frame.jpg

[18] Urheber: Gobierno de los Estados Unidos
Link: //commons.wikimedia.org/wiki/File:BRL61-IBM_1401.jpg

[19] Urheber: NASA
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[20] Urheber: Lothar Schaack
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[21] Urheber: Kathryn Greenhill
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[23] Urheber: Boffy b
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[24] Urheber: Narnars0 (photo) and NeonZero (designer of compact version)
Link: //de.wikipedia.org/wiki/Datei:Apple_I_2_-_CleanBackround_-_compact.jpg

[25] Urheber: Rama & Musée Bolo
Link: //de.wikipedia.org/wiki/Datei:PET_2001_Series-IMG_1721_-_WhiteBackround.jpg

[26] Urheber: FozzTexx
Link: //commons.wikimedia.org/wiki/File:Apple_II_typical_configuration_1977.png

[27] Urheber: German
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[28] Urheber: Konstantin Lanzet
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[29] Urheber: Jleedev
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[30] Urheber: Gortu
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[31] Urheber: Sven Gramatke
Link: //www.bytegame.de/2018/06/26/endoskopie-qbasic/

[32] Urheber: Joe Wein
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[33] Urheber: Alexzero77
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[34] Urheber: Digital Research, Inc.
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[35] Urheber: unbekannt
Link: //de.wikipedia.org/wiki/Datei:Win1.03.png

[36] Urheber: Rama & Musée Bolo
Link: //de.wikipedia.org/wiki/Datei:IBM_PC-IMG_7271.jpg

[37] Urheber: Konstantin Lanzet
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[38] Urheber: Hubert Berberich
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[39] Urheber: Konstantin Lanzet
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[40] Urheber: Raymangold22
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[41] Urheber: K.Reichert
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[42] Urheber: DatBot
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[43] Urheber: Vt320
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[44] Urheber: Vt320
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[45] Urheber: Liliana
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[46] Urheber: Vt320
Link: //en.wikipedia.org/wiki/File:Os2-2.0-wps.png

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