Schach als Fantasy-Abenteuerspiel mit Storymodus. Nicht weniger will Chessaria sein. Die Erwartungen, die es durch seine Inszenierung weckt, sind sehr hoch. Der Test zeigt, ob sie die Vorfreude auch erfüllen kann.
Wie es zum Test kam
Immer wieder schaue ich auf Steam nach neuen Schachspielen. Chessaria sprang mir vor längerer Zeit ins Auge. Es wurde, zumindest teilweise, per Kickstarter finanziert und war meines Wissens nach auch im Early Access.
Die Grundidee: Schach mit einer Geschichte, einem Abenteuermodus. Das klang sehr gut, allerdings war ich auch skeptisch, ob die Umsetzung, vor allem im Gameplay, gelingt. Mit der Zeit kamen immer mehr Rezensionen hinzu, die überwiegend positiv waren. Über die Weihnachtsaktion 2019 landete es schließlich im Warenkorb und wurde von mir anschließend gut zwei Wochen lang intensiv getestet.
Worum es geht
Nach tausend Jahren Frieden kommen die Orks zurück und haben Drachen als Verstärkung dabei. Zunächst muss der Spieler die Stadt verteidigen, zieht dann aber los, um die Ursache für den Krieg zu finden und zu besiegen.
Die Kämpfe im Abenteuermodus spielen sich auf Schachbrettern ab, die vorwiegend, aber nicht immer, aus den klassischen 8×8 Feldern bestehen. Teilweise wird das Spielfeld eingeengt. Auf kleinen und großen Feldern liegen immer wieder Hindernisse, die nur teilweise beseitigt werden können. Dies soll die Bewegungsfreiheit der Figuren einschränken und das Erlebnis interessanter gestalten, was teilweise auch gelingt.
Dabei ist die Handlung nicht besonders anspruchsvoll, aber zweckmäßig und ordentlich erzählt. Die Zwischensequenzen sind eine Aneinanderreihung von Bildern, was aber nicht besonders stört. Hin und wieder darf der Spieler verschiedene Wege wählen – um dann festzustellen, dass er ohnehin alle Rätsel lösen muss, er lediglich die Reihenfolge bestimmen darf.
Grafikpracht
Die Figuren bewegen und schlagen in Battle Chess Manier und es macht Freude, dem Treiben zuzusehen. Wen das Gehüpfe nervt, kann es in den Optionen ausschalten. Die Animationen halten sich von der Länge her in Grenzen und da es keinen Blitzmodus gibt, sind die kleinen Pausen nur bei wenigen Rätseln von Nachteil.
Sound und Sprache
Gameplay und seine Mängel
Eines der wesentlichen Merkmalen von Schach ist, dass es ein Spiel mit perfekter Information ist. Das bedeutet: Es gibt keine Zufallselemente und jedem Spieler ist jederzeit alles bekannt. Chessaria weicht – bereits am Anfang – davon ab, was einen typischen Schachspieler durchaus frustrieren kann. Als Schachspieler ist man es gewohnt, mit den vorhandenen Informationen zu arbeiten um alle Kombinationen zu berechnen. Chessaria wirkt dem entgegen, indem es bspw. nach ein paar Zügen mit einem Drachen die zweite Reihe komplett vernichtet. In anderen Rätseln bekommt man selbst oder der Gegner zwischendurch Nachschub. Vor allem Letzteres macht diese Rätsel unkalkulierbar. Im schlimmsten Fall verliert man und fängt immer wieder neu an.
Zu allem Überfluss bewertet Chessaria, wie man die Rätsel gelöst hat. Natürlich will man die Aufgaben perfekt lösen, vielfach ist es, aufgrund der oben beschriebenen Umstände, auf Anhieb nicht möglich.
Doch Chessaria hat auch seine Momente. Immer wieder steht man vor einem interessanten Problem. Wenn das Feld kleiner wird, die Aufgaben von normalen „Matt setzen“ oder „König schlagen“ abweichen, erwischt man sich immer wieder dabei, wie man aus gewohnten Denkmustern herausgerissen wird. Das ist ein sehr angenehmes Gefühl, welches leider durch etwas willkürliche Regelauslegung getrübt wird.
Flexible Regeln
Ebenfalls kurios: Im Abenteuermodus kann ein im Schach stehender König gedeckte Figuren schlagen.
Das Kernproblem daran ist die mangelnde Information. Das Spiel gibt keinerlei Auskunft, keinen Hinweis darüber und man muss die eigenwilligen Regeln erst erkunden. Ebenso muss man herausfinden, wann die KI den entscheidenden Fehler macht. Im schlimmsten Fall führt es dazu, dass man ein Rätsel mehrfach angehen muss. Nicht, weil man selbst einen Fehler machte, sondern mangels Informationen. Das man auch keinen Zug zurücknehmen kann, macht den Frust noch größer.
Mangelnde Balance
Zunächst beginnt alles sehr einfach. Der Spieler lernt die Figuren kennen, bekommt einfache Aufgaben. Urplötzlich steht man aber vor einem komplexen Problem, das unter Zeitdruck gelöst werden muss. Kommen die bereits erwähnten Probleme, wie etwa mangelnde Informationen, hinzu, kann das sehr frustrierend sein. Andere Rätsel zielen darauf ab, dass man sie in einer bestimmten Anzahl von Zügen löst. Mal muss eine bestimmte Position eingenommen werden, mal muss der Spieler bestimmte Felder verteidigen. Eine tolle Idee, aber je nach Rätsel ein gewaltiger Sprung, wenn man den Schwierigkeitsgrad bedenkt und nicht genügend Informationen besitzt.
Pixel Wizards scheint nicht verstanden zu haben, dass die Spielmechanik und das spielerische Erlebnis im Mittelpunkt stehen müssen. Die Ausgangsidee, über Schach eine Geschichte zu erzählen und Abenteuer zu erleben, ist großartig. Die spielerische Umsetzung weist aber sehr große Mängel auf.
Künstliche Intelligenz
Die KI lässt sich in sieben Stufen einstellen. Die Stufen werden wie folgt bezeichnet:
- sehr einfach
- leicht
- mittel
- hart
- sehr hart
- wahnsinnig
- unmöglich
Ein paar Beispiele, was die KI leistet. Auf Stufe 3 kann es passieren, dass die KI ab dem dritten Zug ahnungslos mit dem König zur Brettmitte wandert. Ein Fehler, den vielleicht noch blutige Anfänger bei den ersten Partien machen. Mit einer mittleren Spielstufe hat das nichts zu tun.
Auf Stufe 4 (hart) verliert sie im 12. Zug völlig unnötig ihre Dame. Das Spiel war nach 21 Zügen vorbei.
Auf Stufe 5 (sehr hart) beginnt die KI mit einigen Stümperzügen, bis sie im 10. Zug einen groben Patzer macht und den Sieg für Weiß ermöglicht. Wenn man für einen Sieg mehr als 40 Züge braucht, dann nur, weil die KI ein unumgängliches Matt früh erkennt und sich entsprechend gut verteidigt.
Zielgruppe
Erfahrenere Spieler werden mit dem Spiel nur wenig Freude haben. In den ersten Stunden begeistert vor allem die Präsentation und der Umstand, dass es ein Schachspiel mit Storymodus gibt. Ab dann lässt der Spaß aber nach. Der Multiplayer-Modus funktioniert nur mit Freunden. Eine Zeit lässt sich nicht einstellen, wobei eine Blitzpartie sowohl unter Freunden als auch gegen die KI sinnlos wäre.
Neben dem klassischen Schach gibt es noch neun weitere Modi. Die sind aber untereinander ähnlich / gleich und fußen leider nicht auf bewährte Schachvarianten wie Three-check, King of the Hill oder Crazyhouse. Chess960 sucht man ebenfalls vergeblich. Chessaria kann somit mit einem klassischen Schachprogramm, wie etwa Fritz, keinesfalls mithalten. Spielanalysen, Export als PGN oder zumindest die Stellung als FEN sucht man vergeblich. Man spielt den Abenteuermodus durch, macht ein paar Schnellpartien und anschließend landet es auf der großen Halde der nicht mehr gespielten Steam-Titel. Wer richtig Schach spielen will, greift zu einem professionellen Programm oder landet auf einem der zahlreichen Schachportale, die teilweise sogar komplett kostenlos sind.
Chessaria ist allerdings ganz gut geeignet, um Menschen für das Spiel zu interessieren, die sich bisher vom Strategiespiel abschrecken ließen. Das gilt nicht nur für Kinder, sondern auch Erwachsene mittleren Alters.
Fazit
Man wird nie den Eindruck los, dass die Stärke des Entwicklers die Grafik ist. Statt einen größeren Wert auf den Inhalt zu legen wurden viele, teils fehlerhaft funktionierende Herausforderungen eingebaut, gefolgt von hübschen Sammelkarten. Produktpflege hingegen sieht anders aus, was man an vielen kleinen Stellen bemerken kann. So wird bspw. das Spiel immer wieder als Beta angegeben, obwohl es sich in Version 1.1 befindet. Ebenfalls sind die Versprechungen auf der Steam-Seite zweifelhaft. Die Solokampagne wird mit „+20h“ angegeben. Selbst die Hälfte wäre übertrieben gewesen.
Dennoch hat Chessaria ganz klare Stärken und zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es nahezu einzigartig ist und einen Weg einschlägt, den bisher kaum ein Entwickler gewagt hat. Dass die Schwächen durch Patches beseitigt werden, kann man nicht mehr hoffen, aber vielleicht erfreut uns der Entwickler eines Tages mit einem zweiten Teil, bei dem die aufgezeigten Schwächen beseitigt wurden. Dann wird es mit Sicherheit ein großartiges Spiel für ein deutlich breiteres Publikum.
Informationen
Spielname: Chessaria: The Tactical Adventure
Hersteller: Pixel Wizards
Plattform: Windows 7 und höher / OS X Mountain Lion und höher
Getestete Version: Steam – Setzt 64-Bit-Prozessor und -Betriebssystem voraus
Positiv |
Negativ |
+ Für ein Schachspiel tolle, liebevolle Grafik |
– Nur 7 Schwierigkeitsgrade. KI ist, bis auf die höchste Stufe, viel zu schwach |
+ Harmonische, gut passende Musik |
– Gegen die KI kann man nur mit Weiß spielen |
+ Abwechslungsreiche Settings / Welten |
– Keine Zeitmodi im freien Spiel |
+ Teilweise tolle, sehr interessante Rätsel |
– Schlechte Übersetzung |
+ Viele verschiedene Schachmodi |
– Von denen sich einige gleichen |
+ Gut für Anfänger geeignet |
– Multiplayer nur gegen Freunde |
|
– Schlechte Balance im Abenteuermodus |
– Teils frustrierende, teils langweilige Rätsel |
|
– Fragwürdige Lernkurve |
Schachmutanten… vor einiger Zeit wurde ja Archon neu aufgesetzt. Habe ich mir aber nicht angetan. Ich finde ja, Schach spielt man am besten gegen echte Gegner – in Fleisch und Blut oder online… egal… aber das Spiel geht einfach über die bloße Zugmathematik hinaus. Wenn ich einem vermeintlich schwachen Gegner Fallen stelle, wenn ich defensiv spiele und dem Gegner die Gelegenheit zum patzen gebe… oder wenn mein toller Plan in sich zusammenbricht, weil ich selbst den Tunnelblick und nur die gegnerische Beute im Blick gehabt habe – dann macht Schach mir richtig Freude. Wenn ich gegen eine KI spiele …… Weiterlesen »