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Renderadventures

Myst-Masterpiece-Edition
Kaum vorstellbar, aber Myst (hier in der Masterpiece Edition) begeisterte damals auch durch die Optik

Die neuen Möglichkeiten schufen auch neue Unter-Genres, zu denen auch das Renderadventure gehörte. Hierbei handelte es sich um Spiele, die sich vor allem durch ihre Optik, nämlich Rendergrafiken, auszeichnete. Dies sind Grafiken, die als 3D Modelle am Computer erstellt und anschließend als Bild oder Video berechnet wurden. Diese Technik benutzten viele Spiele für animierte Zwischensequenzen, wie etwa die Command & Conquer Serie 1995. Ein Paradebeispiel dafür war das Spiel Myst von 1993.

Das Spiel führte aufgrund seines Grafikstils gleich mehrere Neuerungen in das Genre ein. Der Spieler bediente nicht mehr eine externe Figur sondern wurde selbst zum Bestandteil des Spiels (First Person). Da die Spielwelt aus statischen Grafiken bestand, fühlte sie sich wie ein Klicken durch ein Fotoalbum an, wobei der Spieler in einer Box gefangen war, in der er höchstens die vier Richtungen vorne, hinten, links und rechts erreichen konnte, um in die nächste Box zu gelangen.

Myst 1 vermischte Rendergrafik mit Videos
Myst 1 vermischte Rendergrafik mit Videos

Für die damalige Zeit sah Myst hervorragend aus und entwickelte seine Atmosphäre vor allem durch die Klangkulisse. Da es kaum Animationen gab, war dies auch dringend nötig. Bewegte Abwechslung gab es fast nur in Zwischensequenzen. Das Abenteuerspiel minimierte die Interaktion mit der Umgebung auf das Wesentlichste und fühlte sich an wie eine Reise durch eine tote Welt in der zur Lösung der Rätsel nicht einmal ein Inventar nötig war. Natürlich konnte man auch nicht sterben und es war kein Neustart erforderlich (Stichwort Sackgassen). Wie der Entwickler Cyan Worlds selbst auf der Webseite schreibt:

„Bei Myst ging es darum, sich in einer Welt zu verlieren und einfach zu erforschen, zu verstehen und Teil der Geschichte zu werden […]“

Der fehlende Anspruch ärgerte zum Teil auch die Fachpresse. PC Games gab 75, die PC Player 73 Punkte. Das Fazit der PC Player lautete:

„Wenn Sie unter einem guten Adventure einen Eintopf mit möglichst vielen Schauplätzen, Menüpunkten und Dialogpuzzles verstehen, vergessen Sie’s lieber gleich. Das spartanische Myst lebt an der Freude am Ausprobieren und Herumforschen. Grübelnd notiert man Zahlencodes und Hinweise aus Tagebüchern; umso größer ist die Befriedigung, wenn man auf eine fremdartige Maschine trifft, die sich durch Umsetzung des erworbenen Wissens aktivieren lässt. Über die spielerische Komplexität kann man natürlich streiten, aber die Faszination von Myst ist nicht ohne. Wer ein ungewöhnliches Adventure sucht und Spaß an schönen Rumklick-Expeditionen hat, wird dieses „echte” CD-Programm schätzen.“

Die Pointe ist, das Myst mit 6 Millionen verkauften Exemplaren zum erfolgreichsten Spiel seiner Zeit wurde. Mit seinen Nachfolgern wurden sogar insgesamt 12 Millionen Spiele verkauft. Das Spiel konnte zwar Veteranen des Genres kaum begeistern, dafür aber eine große, anspruchslose Masse die sich von den Grafiken, dem Sound und der Hintergrundgeschichte einfangen ließen. Immer wieder liest man Expertenmeinungen, welche die Schuld am Niedergang des Genres diesem Spiel zuschreiben. Die zahlreichen Gründe für diese Entwicklung schrieb ich bereits im letzten Teil nieder.

Mysts Erbe

realMyst
realMyst mit einer richtigen 3D Engine

Es ist immer das Gleiche. Wenn sich etwas verkauft, kommt ein Ableger nach dem anderen. Alleine die Myst-Serie brachte sieben Teile hervor, die auf zahlreiche Plattformen portiert und immer wieder neu aufgelegt wurden. Wer den ersten Teil spielen möchte, kann dies auf Mac OS, Windows, Amiga, Playstation, PlayStation 3, PlayStation Portable, Sega Saturn, 3DO, Atari Jaguar, CD-i, Nintendo DS, Nintendo 3DS, iOS, Windows Mobile und Android tun. Zudem gab es mit realMyst und realMyst Masterpiece Edition Versionen des Spiels in einer 3D-Engine. Hier kann der Spieler durch eine richtige 3D Welt laufen und erfährt durch dynamische Animationen wie Wolken, Wellen im Meer, Wind etc. eine lebendigere Spielwelt.

Viele Informationen erhielt man nicht nur aus den Zwischensequenzen, sondern aus Büchern
Viele Informationen erhielt man nicht nur aus den Zwischensequenzen, sondern aus Büchern

Viele Nachahmer gab es nicht. Zum einen war eine solche Fülle von Rendergrafiken und Animationen ein kostspieliger Aufwand. Firmen wie Westwood beispielsweise unterhielten für ihre Zwischensequenzen ganze Renderfarmen, also dutzende im Netzwerk verbundene PCs die den ganzen Tag nichts anderes taten als Animationen zu rendern. Für kleinere Studios war dies kaum zu realisieren. Außerdem war die Gefahr als Myst-Abklatsch enttarnt zu werden sehr groß, da der Grafikstil ein Alleinstellungsmerkmal der Spieleserie darstellte. Wer die nötigen Finanzen hatte ging somit lieber in Richtung Film, da sich mit dieser Technik mehr Individualität realisieren ließ. LucasArts und ein paar andere Entwickler blieben hingegen beim Comic.

Eine Übersicht der Insel von Myst 1
Eine Übersicht der Insel von Myst 1

Nachdem 1996 id-Software mit Quake und die gleichnamige Engine die erste 3D-Spiel-Engine veröffentlichte, wurden Rendergrafiken als Spielmittel weiter uninteressanter. Warum sollte man noch eine statische, gerenderte Welt erschaffen, wenn man dynamische 3D-Welten erschaffen konnte?

Foto und Film

Police-Quest-4-Open-Season
PQ 4 setzte auf echte Schauplätze und Schauspieler

Sierra hielt es für eine tolle Idee bei Police Quest 4: Open Season 1993 komplett auf Schauspieler zu setzen. Die leicht bewegten Animationen wurden in statische Fotokulissen gesetzt und 1996 in einer komplett vertonten CD-Version neu aufgelegt. Das grafische Experiment konnte wohlwollend als „interessant“ bezeichnet werden, spielerisch war es aber eine mittlere Katastrophe, die von der PC Player mit 48 Punkten abgestraft wurde. Da das Spiel mehr eine Polizeisimulation als ein richtiges Spiel darstellte, war die Entscheidung für grafischen Realismus zumindest stimmig.

The-Beast-Within-A-Gabriel-Knight-Mystery
The Beast Within: A Gabriel Knight Mystery hat höchstens den Charme eines C-Movies

In The Beast Within: A Gabriel Knight Mystery setzte Sierra 1995 wieder auf Film, Foto und Schauspieler. Obwohl es Spielerisch ganz nett war, zeigten sich hier zahlreiche Probleme der Zeit und besonders die Probleme von Sierra. Schlechte Schauspieler machen ein fotorealistisches Spiel total unglaubwürdig, eine miese Synchronisation, bei der Deutsche Figuren im Spiel einen amerikanischen Akzent haben, ruinieren es völlig. Als Sierra-Fan hatte man den Eindruck, dass die Spieleschmiede die Auffassung vertrat: Wenn wir vorne genug Geld rein schieben, kommt hinten ein gutes Produkt heraus. Der Entwicklungszyklus glich aber meistens dem Verdauungstrakt mit selbigem Ergebnis.

Trilobyte zeigte bereits 1993 mit The 7th Guest wie man es besser machte. Während man in Myst noch von Bild zu Bild sprang, sprang man hier von Video zu Video, was zumindest das Gefühl einer Bewegung vermittelte. Eine Bewegung, die nicht in Renderbildern sondern hochaufgelösten SVGA Videos stattfand. Das von Virgin Games vertriebene Spiel war für 180-200 DM zu haben und zeigte, was auf damaligen Computern mit CD-ROM möglich war. Trotz des hohen Preises verkaufte sich das Spiel bis zu 2 Millionen mal und war damit neben Myst und Rebel Assault eines der drei wegweisenden Spiele in die CD-ROM Ära.

Spielerisch blieb der Grafikblender dennoch blass. Die Gesamtqualität in Bild und Ton stellte zwar die Sierra-Titel in den Schatten, die Rätsel blieben aber seicht und die Interaktion mit der Umgebung war mangelhaft. Erschwerend kamen die hohen Hardwareanforderungen für den PC hinzu. Neben dem CD-Laufwerk benötigte man auch eine 16 Bit SVGA Grafikkarte mit VESA-Treiber und zusätzlich 10MB freien Platz auf der Festplatte. Boris Schneider, damals Redakteur der PC Player und Adventure-Experte, ließ sich sogar zu der Aussage hinreißen, das Spiel sei „Scharlatanerie«, da es „700 MByte für 22 Denksportaufgaben“ brauchen würde. Sein Fazit:

„Je mehr Megabyte ein Abenteuerspiel hat, desto weniger Puzzles sind anscheinend drin.“

Simon the Sorcerer
Pixelgrafik wie in Simon the Sorcerer wurde immer mehr die Ausnahme

Doch der Erfolg des Spiels bot kaum Gegenargumente. Adventure verkamen immer mehr zu seichten Klickerlebnissen, die zwischendurch von unfairen Rätseln unterbrochen wurden. Die meisten Rätsel von The 7th Guest lassen sich im Halbschlaf lösen, ein paar davon sind aber derart schwer, dass man heulend nach einer Lösung schreit, selbst wenn man der englischen Sprache mächtig ist. Das zeigte eindrucksvoll, wie sehr zu dieser Zeit in vielen Firmen auf Spielmechanik, Spieldesign und Rätsel – gelinde gesagt – geschissen wurde. Abgesehen von ein paar Lichtblicke aus dem Hause Lucas, den ersten beiden Simon the Sorcerer Spielen (1993 und 1995) gab es kaum noch klassische, anspruchsvolle und liebenswerte Adventure.

Die 3D-Zeit

Quake 1
Ein öder Raum in Quake. Der Unterschied zu Adventures: hier ist der Spieler in 3 Sekunden durch. In einem Adventure rätselt er eine halbe Stunde

Quake (1996), Unreal (1998), Half-Life (1998) und andere Spiele leiteten, auch dank 3D-Beschleunigung, das Zeitalter der echten 3D Spiele ein. Das gab es zwar schon vorher, aber nicht in dieser texturierten, animierten, polygonreichen Qualität. Ganz dem Trend folgend kamen zahlreiche Entwickler auf die Idee möglichst jedes Genre in eine 3D-Umgebung versetzten zu müssen. Darunter litten nicht nur Echtzeitstrategiespiele sondern besonders Adventure.

Tomb-Raider-3
Abenteuer, Action und einfache Rätsel. Tomb Raider (hier Teil 3) zeigte dem alt ehrwürdigen Genre die lange Nase. Bzw. hier den Hintern

Zunächst klingt die Idee nicht übel: Der Spieler erlebt sein Abenteuer in einer voll interaktiven 3D Umgebung. Was bei einem Tomb Raider (1996) Massen begeisterte, sollte auch in einem Adventure funktionieren. Die Idee scheiterte aber grandios an der Wirklichkeit. 

Das größte Problem: Die Spiele waren fast alle eine optische Katastrophe. Während selbst das erste Quake halbwegs in Würde altern konnte, sah schon King’s Quest 8: Maske der Ewigkeit (1998) zu seiner Zeit nach Grütze aus. Adventure leben meistens von detaillierten Außenwelten die sich damals nur schwer umsetzen ließen. Die genannten Shooter spielten meist in kleinen Arealen und Innenräumen, wo die Technik hervorragend funktionierte. Weitläufige Landschaften mit Pflanzen, Wasser, lebendigen Elementen, Animationen, ließen sich nur schwer gefällig umsetzen. Statt schön gezeichnete oder gepixelte Welten bekam der Spieler einen Haufen liebloser Polygone mit schlechten Texturen vorgesetzt und wurde gebeten, sich gefälligst mit dieser Spielwelt zu identifizieren.

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